Editorial

Es ist noch ein
weiter Weg

(07.12.2023) Ob im Studium, bei der Firmengründung oder in der Führungsetage – Frauen sind weiterhin unterrepräsentiert. Doch es tut sich was, sagt Gründerin Nikola Müller.
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„Stagnierend auf niedrigem Niveau“, so beschreibt der Deutsche Startup Monitor 2023 die Entwicklung des Gründerinnenanteils in deutschen Start-ups. Dieser liegt derzeit bei etwa 21 Prozent, seit 2019 ist er nur um ca. 5 Prozent gestiegen. Nikola Müller ist eine der Wenigen, die es gewagt und geschafft haben.

Ihr Start-up knowing01 ist eine Ausgründung des Helmholtz Zentrums München und bietet Analyse­software zur Verbesserung der früh­phasigen Wirkstoffforschung an. Im Jahr 2021 erhielt Müllers Firma zusammen mit anderen Start-ups die neue EU Förderung „Woman-TechEU“, die sich gezielt an frauengeführte Deep-Tech-Neugründungen richtet. Damit ist das EU-Programm eines der wenigen Förder­instrumente, das explizit weibliche Gründerinnen unterstützt. „Dieses Programm funktioniert sehr unkompliziert und ist ein erster Beitrag, um die Lücke zwischen der Vor-Gründungsförderung und der späteren KMU-Unterstützung zu schließen“, sagt Müller. Das „Woman-TechEU“-Programm beinhaltet eine Fördersumme von 75.000 Euro pro Unternehmen sowie Coaching und Mentoring und ist Teil der „Horizon-Europe“-Initiative. Besonders interessant hierbei: begünstigte Unternehmen müssen keinen Eigenanteil aufbringen, um den Förderbetrag zu erhalten.

Editorial

Männer, die anderen Männern Geld geben

Die gezielte Förderung von Frauen ist derzeit das Mittel der Wahl, denn noch immer ist insbesondere die deutsche Start-up-Szene geprägt von Männern, die anderen Männern Geld geben. „Es wird einfacher, wenn man akzeptiert, dass Frauen in vielen Situationen meist unbeabsichtigt unterbewussten Vorurteilen ausgesetzt sind. Als frauengeführtes Start-up fällt man auf, da man nicht so ist wie die meisten anderen Gründer – nämlich männlich. Dies sollte man in seinen Vorteil umwandeln“, berichtet Müller. So fördern Verantwortliche in Führungspositionen bevorzugt Menschen, die so sind wie sie selbst. Da Deutschlands Führungspositionen laut Destatis auch 2022 noch zu über 70 Prozent mit Männern besetzt sind, setzt sich der Kreislauf fort und ist ohne geeignete Maßnahmen schwer zu durchbrechen. Bei den Investoren sieht es sogar noch drastischer aus: 2021 waren Business Insider zufolge weniger als 15 Prozent der Business Angels Frauen.

„Solche Maßnahmen müssen jedoch viel früher ansetzen“, sagt die Gründerin, die selbst Mutter von zwei Kindern ist. „Mädchen und Jungen werden oft immer noch zu früh in bestimmte Rollen gesteckt. Mädchen sollten gezielt an naturwissenschaftliche und technische Themen herangeführt werden.“ Dass es hierbei noch einigen Nachholbedarf gibt, zeigen Zahlen des statistischen Bundesamtes. So waren in Deutschland im Wintersemester 1.090.804 Studierende in MINT-Fächern eingeschrieben. Nur etwa ein Drittel davon waren weiblich. Mit Ausnahme der Biologie setzt sich dieser Trend auch bei der Verteilung von Doktoranden und Doktorandinnen fort. So standen laut Promovierendenstatistik von Destatis in den MINT-Fächern 23.877 Doktorandinnen 47.278 Doktoranden gegenüber. Zwar gibt es Förder­instrumente wie „Komm, mach MINT“ oder „MINTvernetzt“, die junge Frauen beim Übergang von Schule zum Studium für MINT-Berufe begeistern wollen, doch diese greifen oftmals zu spät, findet Müller.

Bildung, Regeln und Wiederholung

Dass Geschlechterparität auch in naturwissenschaftlichen Einrichtungen möglich ist, beweist das australische Astronomie-Forschungszentrum ASTRO 3D. Von seinen 300 Mitarbeitenden sind mittlerweile die Hälfte Frauen. Dafür verpflichtete das Institut alle Mitarbeitenden zur Teilnahme an Workshops zu den Themen Diskriminierung und unterbewusster Vorurteile. Zudem verfügte die Institutsleitung, dass die Hälfte der Jobinteressenten, die in die engere Wahl kamen, Frauen sein sollen. Um die Veränderungen möglichst nachhaltig zu gestalten, setzt das Institut zudem auf Familienfreundlichkeit. So werden etwa Meetings nur zwischen 10 Uhr morgens und 14 Uhr nachmittags abgehalten.

Auch für deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen könnten diese Maßnahmen als Blaupause dienen. Dazu müssten die Zustände nur noch sichtbarer gemacht werden. „Es ist wichtig, dass wir dem Thema Frauen in Technologie und Unternehmensführung erstmal viel Raum geben, auch wenn diese Aufmerksamkeit künstlich erzeugt ist. Es sollte so lange erzwungen werden, bis es normal ist“, sagt die Gründerin. Zudem müsse das unternehmerische Denken früh gefördert werden. Dies gelte nicht nur, aber im Besonderen, für Frauen. Dort passiere jedoch gerade viel, meint sie. „Um die Rahmenbedingungen der biotechnologischen Start-ups in Deutschland zu verbessen, arbeiten unter anderem die Life Science Factory und der BioM-Cluster in München an neuen und besseren Modellen.“ Die Mühlen mahlen allerdings langsam und so wird es noch einige Zeit dauern, bis in Deutschland nicht nur mehr gegründet wird, sondern vor allem mehr Frauen diesen Schritt wagen.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/tookapic


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Letzte Änderungen: 05.12.2023