Editorial

Wie geht’s dem
„Tomatenfisch“?

(20.11.2023) Er ist gewachsen und vereint nun unter einem Gewächshausdach Pflanzenbau, Fischzucht und die Haltung von Insekten. Werner Kloas verrät Details.
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Mit Tomate, aber hier ohne Fisch: Werner Kloas

„Tomatenfisch“ war ein Projekt am Leibniz-Institut für Gewässer­ökologie und Binnenfischerei (IGB) Berlin, das wir 2013 im Laborjournal vorgestellt hatten: Man kombiniert den Tomatenanbau mit der Fischzucht, wobei nicht nur Wasser im System gehalten wird, sondern das Wasser der Fische auch gezielt zum Düngen der Pflanzen mitgenutzt wird (siehe „Flucht nach oben“ in LJ 9/2013 oder hier auf LJ online).

In modernen Gewächshäusern mit exakt kontrollierbaren Bedingungen wachsen die Pflanzen nicht mehr in herkömmlicher Erde, sondern die Wurzeln stecken in speziellen Substraten – das Ganze nennt sich Hydroponik. Bei der Aeroponik hängen die Wurzeln sogar frei in der Luft und werden über einen Sprühnebel mit Wasser und Nährstoffen versorgt. In Kombination mit der Fischhaltung wie beim Tomatenfisch spricht man von Aquaponik. Ob man Pflanzenbau so weit von der Außenwelt abkoppeln sollte, dass ausschließlich künstliches Licht zum Einsatz kommt und man damit sogar auf mehreren Etagen produzieren kann, ist umstritten. Im aktuellen Laborjournal-Heft nehmen wir dieses sogenannte Vertical Farming noch einmal kritisch unter die Lupe (siehe „Zwischen Hype und neuen Chancen“).

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Beim Tomatenfisch aber ging es nicht allein um kontrollierte Bedingungen in Innenräumen, sondern auch darum, Stoffkreisläufe geschlossen zu halten. Damals wollten die Forscher zeigen, dass sich ihre Ideen überhaupt realisieren lassen. Wir haben jetzt, zehn Jahre später, noch einmal bei Werner Kloas nachgefragt, was aus dem Projekt geworden ist. Der Leiter der Abteilung Biologie der Fische, Fischerei und Aquakultur am IGB war federführend für den Tomatenfisch verantwortlich.

Als eine große Stärke kontrollierter Systeme in Innenräumen gilt, dass sie Wasser im System halten. Wie relevant ist das denn in der Praxis? Schließlich ist Wasser hier bei uns keine Mangelware.
Werner Kloas: Das stimmt so nicht. In den letzten Jahren hatten wir auch hier in Berlin und Brandenburg Grundwasserdefizite. Gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird es immer wichtiger, mit der Ressource Wasser nachhaltig umzugehen. Die Landwirtschaft hat einen Anteil von ungefähr 70 Prozent am Süßwasserverbrauch. Wichtig ist natürlich, dass dabei die Produktivität stimmt. Die ist in einem Gewächshaus um das Fünf- bis Zehnfache höher als im Freiland. Heute spricht man bei modernen Systemen gern von Controlled Environment Agriculture. Dabei vermeidet man die Verbindung mit dem Ökosystem außerhalb, weil das wieder Umweltbelastungen mit sich bringt. Bei der Lachs­zucht zum Beispiel gelangen in herkömmlichen Anlagen Stickstoffverbindungen letztlich in die Umgebung. Dieses Überfrachten mit Nährstoffen belastet die Ökosysteme und kann zum Beispiel zu Algenblüten führen.

Allerdings verbrauchen solche Systeme viel Energie, zum Beispiel zur Regulation von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Rechtfertigt das Halten von Wasser und Nährstoffen in einem Kreislauf diesen Mehraufwand an Energie, solange der Strom nicht aus erneuerbaren Quellen kommt?
Kloas: Wenn Sie das mit einem Niedrig­energie­gewächshaus kombinieren, dann ja. Zum Beispiel wurde ZINEG [Zukunfts­initiative Niedrig­energie­gewächshaus] 2014 von der Humboldt-Universität mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Im Niedrig­energie­gewächshaus ist im Sommer die Einstrahlung der Sonne so hoch, dass man aufmachen oder kühlen muss.

Wobei das aktive Kühlen auch wieder Energie kostet.
Kloas: Beim Kühlen kann man aber die höhere CO2-Konzentration halten, was bei Tomaten 30 bis 40 Prozent höhere Erträge bringt. Wenn ich mit einem Wärme­tauscher kühle, kann ich das kondensierte Wasser auffangen und rezirkulieren lassen oder auch in eine Aquakultur bringen. Und auch überschüssige Wärme aus dem Wärme­tauscher kann aufgespeichert werden. Bei den aktuellen Energiepreisen haben Sie durch Niedrig­energie­gewächshäuser trotz größerer Investitionen auch einen ökonomischen Nutzen.
Die Kritik am Vertical Farming teile ich allerdings, denn es macht ökonomisch wirklich wenig Sinn, möglichst viel in mehrere Stockwerke reinzupacken. Da bringt es viel mehr, im periurbanen Raum in die Fläche zu gehen und mit dem Sonnenlicht in Niedrig­energie­gewächshäusern zu arbeiten. Die Idee, Vertical Farming innerhalb der Stadt zu betreiben, hat noch einen anderen großen Nachteil: Wenn Sie jetzt an 500 Stellen Salat, Tomaten oder Fisch produzieren, müssen die Produkte ja auch in den Supermarkt gelangen. Jemand muss diese also einsammeln und in die Logistik­zentren bringen, die aber in den periurbanen Zonen liegen. Meine Vision geht stattdessen dahin, Aquaponik und andere multitrophisch gekoppelte Systeme möglichst nah an diesen Logistik­zentren zu betreiben, von wo aus auch die Verteilung stattfindet.

Bislang lohnt es sich anscheinend noch nicht, Dünger im System zu halten. Obwohl das ökologisch sinnvoll wäre, denn wir haben ja bereits stark eutrophierte Gewässer.
Kloas: Und das können Sie genau über Controlled Environment Agriculture verhindern. Da umspült dann eine kontrollierte Düngerlösung die Wurzeln – sei es nun hydroponisch oder aeroponisch. Und all das bleibt im Kreislauf. Im Freiland hingegen muss ich viel mehr Dünger geben, und der gelangt dann auch ins Grundwasser, mit all den Problemen, die wir aktuell sehen. Bei Aquaponik-Systemen fällt das komplett weg. Wir haben das komplette Fischwasser mit dem Nitrat, und das geben wir zu den Pflanzen. Herkömmlicher Stickstoff-Dünger wird über die Haber-Bosch-Synthese mit Luftstickstoff hergestellt, und das verbraucht einen Haufen Energie und führt somit zu CO2-Emissionen. Das wird jetzt auch ökonomisch spürbar, denn Dünger war ein großer Exportschlager aus Russland und hat sich durch den Ukrainekonflikt nun verteuert.

Was ist aus dem „Tomatenfisch“ geworden? Also Ihrem Aquaponik-Projekt zur Kombination von Fischzucht mit Tomatenbau im Gewächshaus?
Kloas: Damit sind wir jetzt einen Schritt weiter und über die reine Aquaponik hinaus. Gemeinsam mit Kollegen der Humboldt-Universität sind wir in ein Projekt involviert, das CUBES Circle heißt. Unser Teilprojekt FishCUBE hat die Zielsetzung, Aquaponik im Niedrig­energiege­wächshaus zu optimieren. Bei den Fischen fallen aber noch weitere Nebenprodukte an, zum Beispiel Faeces im Sediment oder Fischteile, die nicht für die Nahrung verwertet werden können. Und auch das wollen wir in CUBES Circle weiterverwerten, nämlich für die Ernährung von Insekten. Somit kommt eine dritte trophische Komponente hinzu. Auch bei der Tomate essen Sie ja nicht die Blätter, ebenso bleiben beim Salat Pflanzenteile wie die Wurzeln übrig.
Unsere Idee ist nun, jede entstehende oder vorhandene Biomasse, die wir nicht als Nahrung nutzen, den Insekten zu geben. Die Insekten wiederum könnte man für die menschliche Ernährung heranziehen, was aktuell aber nicht zu unserer Esskultur passt. Genauso gut kann man die Insekten aber wieder als Futtermittel für die Fische nutzen und Stoffkreisläufe schließen. Klar ist natürlich, dass wir trotzdem immer Ressourcen in das System reingeben müssen, denn wir wollen ja Nahrungsmittel produzieren und konsumieren. Uns geht es aber darum, möglichst keine Abfälle zu haben und so viel wie möglich zu recyceln. Wir produzieren weniger Emissionen, sparen Dünger ein und bekommen günstigere Futtermittel.

Also gibt es jetzt Pflanzen, Fische und Insekten, die in einem künstlichen System isoliert von der Umwelt verknüpft sind. Wie viel davon ist Proof of Concept, und wie nah sind Sie an kommerziellen Anwendungen? Gibt es auch schon Firmen, die sich für Ihre Arbeit interessieren?
Kloas: Interesse gibt es aus vielen Richtungen. Leider waren wir alle durch Corona gebeutelt. Für das CUBES Circle ist dieses Jahr im April in Berlin-Dahlem eine Test-Facility eingeweiht worden. Unten mit Insekten und Fischen, oben drauf ein Gewächshaus. Das nehmen wir jetzt erst nach und nach in Betrieb, weil wir durch die Pandemie mit dem Bau zwei Jahre in Verzug geraten sind. Und hier kommt jetzt noch die technologische Herausforderung auf uns zu, diese ganzen Stoffflüsse auch steuer- und regeltechnisch zusammenzubringen. Da liegt noch ein bisschen Arbeit vor uns. Aber prinzipiell funktioniert das System.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: W. Kloas


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Letzte Änderungen: 20.11.2023