Editorial

Vertical Farming - Zwischen Hype und neuen Chancen

Mario Rembold


(10.11.2023) Nutzpflanzen in geschlossenen Räumen anbauen und dabei platzsparend mehrere Ebenen nutzen – vor einem Jahrzehnt galt Vertical Farming als Hoffnungsträger für die Welternährung. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, aber auch mehr Erfahrung gesammelt worden, um die Konzepte sinnvoll umzusetzen.

Petersilie, Thai-Basilikum und Bergkoriander aus der hauseigenen Zucht im Supermarkt – möglich sei das durch die modularen Kräuterfarmen des Berliner Start-ups Infarm. Noch immer (Stand 18.10.2023) bewirbt Edeka dieses Konzept als „Indoor & 100% lokal“ im Internet (tatsächlich betrieb Infarm zusätzlich „Outdoor“-Großanlagen außerhalb der Supermärkte, um den Bedarf zu decken). Im Mai dieses Jahres berichteten Medien wie der Tagesspiegel dann plötzlich über einen Rückzug von Infarm aus Europa. Am 9. Oktober schreibt das Handelsblatt sogar, dass die Wirtschaftsauskunft Creditreform vor Geschäftsbeziehungen mit dem Unternehmen warnt, die niederländische Muttergesellschaft habe Insolvenz beantragt. In Toronto sei noch eine Indoor-Farm des Start-ups in Betrieb, und laut Handelsblatt wolle sich Infarm künftig auf den Nahen Osten konzentrieren – wegen der geringeren Energiekosten.

Forscherin kontrolliert Pflanzen in einer Indoor-Farming-Halle.
Braucht vor der Anwendung womöglich doch noch mehr Forschung: Vertical Farming. Foto: Plenty Unlimited

Auch international häufen sich Berichte, wonach die Sache mit den vertikalen Farmen wohl doch nicht so wirtschaftlich läuft, wie anfangs erhofft. Demnach musste Planted Detroid im Sommer die Auslieferung von Salaten einstellen, und Farmen von Square Root (Mitbegründer ist Elon Musks Bruder Kimbal) pausieren ihren kommerziellen Betrieb. Teils hämisch kommentiert werden diese Entwicklungen auf Twitter (bzw. X) und diversen Blogs. Kurz gefasst lautet der Tenor: Es war klar, dass sich Vertical Farming nicht rentiert. Man hätte vorher einfach Leute fragen müssen, die sich mit den Bedürfnissen von Pflanzen auskennen.

Nun hatten auch wir im Laborjournal vor zehn Jahren hoffnungsvoll in die Zukunft urbaner Landwirtschaft geschaut und dabei unter anderem Vertical Farming als vielversprechendes Konzept thematisiert („Urban Farming – Flucht nach oben“ in LJ 9/2013 oder auf LJ online - Link). Mit allen landwirtschaftlichen Anbauflächen dieser Welt könnte man den südamerikanischen Kontinent bedecken. Kultiviert man Nutzpflanzen aber auf mehreren Ebenen, so benötigt man weniger Fläche. Zu solchen Indoor-Konzepten gehört auch, die Systeme möglichst geschlossen zu halten: Wasser sollte im Kreislauf bleiben, Dünger und Pflanzenschutzmittel würden nicht in den Boden ausgewaschen. Und weil man nicht auf die Fläche beschränkt ist und die Bedingungen indoor durch technische Systeme unabhängig von Wind und Wetter kontrolliert, kann man – so zumindest die idealisierte Idee – vertikale Farmen überall errichten. Also spart man Transportwege, wenn man Reis, Salat oder Früchte gleich in der Stadt produziert.

Waren das alles bloß fixe Ideen von Idealisten oder Schaumschlägereien von Start-up-Gründern, um Investoren das Geld aus der Tasche zu ziehen? Fragt man nach bei Forscherinnen und Forschern, die heute zum Indoor-­Anbau und Vertical Farming arbeiten, dann fallen die Einschätzungen sehr viel differenzierter aus. Um es vorwegzunehmen: Man wird mit vertikalen Farmen nicht die Welt ernähren, aber je nach Standort können sie eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Anbaumethoden sein und sich sogar wirtschaftlich rentieren.

Hohe Energiekosten

Oliver Körner arbeitet am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren bei Berlin. Begonnen hatte er in den Nullerjahren in den Niederlanden mit Forschungsarbeiten zu geschlossenen Gewächshäusern, später interessierte ihn dann auch die künstliche Belichtung von Nutzpflanzen. Körner modelliert die Bedingungen in geschlossenen Gewächshäusern und Indoor-Systemen und möchte dabei den Toleranzbereich von Pflanzen für verschiedene künstliche Umweltbedingungen ausloten. Er leitet die Arbeitsgruppe „Anbausysteme geregelte Umwelten“.

„Vertical Farming sehe ich durchaus kritisch“, räumt Körner ein und spricht sogar von einem Hype, der zuletzt die Runde machte und nun wohl wieder etwas abebbt. „Eine meiner Mitarbeiterinnen war Ingenieurin bei Infarm und gehörte zu denen, die dort entlassen wurden.“ Eigentlich sollten aber doch all diese Start-ups von jenen Vorteilen profitieren, die man dem Vertical Farming zuschreibt: Wenig Fläche und kürzere Transportwege zum Beispiel. „Das Hauptproblem der Indoor-­Farmen ist der Strompreis“, stellt Körner fest und kommt damit zur gleichen Einschätzung wie andere Kritiker der vertikalen Farmen. Im Gegensatz zum freien Feld oder einem herkömmlichen Gewächshaus verbraucht der Anbau in geschlossenen Räumen nämlich jede Menge Energie. Das beginnt mit dem Licht.

Im Gewächshaus steht das einstrahlende Sonnenlicht direkt für die Photosynthese zur Verfügung. Stapelt man die Pflanzen aber senkrecht oder denkt man gar an regelrechte Hochhäuser mit etlichen Etagen und Anbauebenen, dann muss man intensiv künstlich beleuchten. Unabhängig davon, wie weit man die Sache mit der „Vertikalen“ treibt, gilt diese Anforderung für jede Art von Indoor-Farm – damit sind Anbausysteme in geschlossenen Gebäuden ohne Tageslicht gemeint.

Forscherin kontrolliert Pflanzen in einer Indoor-Farming-Halle.
Tomaten mit wenig Ertrag im Indoor-Farming.

Die Sache mit dem Licht

Körner interessiert sich dafür, wie eine Pflanze im künstlichen Licht wächst – 2022 zum Beispiel hat er gemeinsam mit Postdoc Laura Cammarisano aus seiner Gruppe das Wachstum von Salaten mit grünen und roten Blättern im LED-Licht untersucht. Dabei verglichen sie weißes Licht mit Licht, das – bei gleicher Photonenmenge – im blauen Spektrum angereichert ist. In den 30 Tagen nach dem Aussähen adaptierten sich beide Salate an das blaue Licht, wobei die Netto-Photosynthese in den grünen Blättern stärker ausfiel (Biology, 11(7): 959).

Solche Studien rund um die Physiologie der Pflanzen in künstlicher Umgebung sind essentiell, um beurteilen zu können, welche Sorten sich überhaupt für den Indoor-Anbau eignen. Zur Lichtzusammensetzung war schon lange bekannt, dass man nicht unbedingt weißes Licht benötigt, so Körner. „Die Photosynthese hat Höhen im Blauen und im Roten, da sind die Rezeptoren besonders empfänglich für Licht.“ Grün hingegen treibt die Photosynthese nicht oder deutlich schwächer an. „Damals war das der erste Gedanke: Wenn wir LEDs haben, die genau diese Wellenlängen abbilden, dann können wir sehr effektiv Zusatzbelichtung kreieren.“ Wäre es nun vielleicht sogar effizienter, Sonnenlicht in elektrischen Strom umzuwandeln und damit LEDs zu betreiben, die jeweils nur die für die Photosynthese relevanten Spektren bedienen? Schließlich bleiben im Sonnenlicht ansonsten ja viele Photonen ungenutzt.

Hier bremst Körner die Euphorie: „LEDs sind zwar effektiv, aber mit direktem Sonnenlicht produziert man nach wie vor billiger und auch besser.“ Wie man es auch dreht und wendet, die Ergebnisse aus den eigenen Arbeiten lassen Körner zu einer eher ernüchternden Schlussfolgerung gelangen: „Die Wachstumsrate beim Indoor-Farming ist relativ gering. Salate wachsen viel langsamer als im Gewächshaus, und für einen schnellen Ertrag benötigt man hohe Lichtmengen.“

Zwar seien LEDs effizienter als herkömmliche Lampen, dennoch, so Körner, gilt für die Lichtmengen beim Indoor-Farming: „Die Beleuchtung produziert eine Menge Wärme, und so entstehen zusätzliche Kosten fürs Air Conditioning: Sie müssen die Luftfeuchtigkeit kontrollieren, und all das benötigt Energie.“ Auch moderne Gewächshäuser könne man als weitestgehend abgeschlossene Systeme gestalten, und auch hier fallen Kosten für das Regulieren von Temperatur und Luftfeuchtigkeit an. Das Licht aber gibt es in der Regel frei Haus, nur in den Wintermonaten oder sehr bewölkten Tagen muss man künstlich nachhelfen.

Es sei aber deutlich einfacher, das Klima innerhalb eines Gewächshauses zu kontrollieren, erklärt Körner: „Aufgrund der Höhe reagiert das Gewächshaus viel langsamer auf Veränderungen, im Endeffekt hat man hier einen zuverlässigen Wärmepuffer.“ Ganz anders, wenn man die Pflanzen vertikal stapelt und dann auch zwischen den Ebenen ein Luftaustausch gewährleistet sein muss. „Eines der größten Probleme ist die große Menge an Feuchtigkeit, die da entsteht.“

Vertikale Farmen brauchen zusätzlich also effiziente Ventilationssysteme, die Strom verbrauchen. Nun gab es in der Vergangenheit auch futuristisch anmutende Konzepte von Hochhäusern, in denen die Pflanzen auf Fließbändern stehen und so bei Bedarf an feuchtere oder kühlere Stellen oder in helle Zonen befördert werden sollten. Hier würde dann aber der Transport der Pflanzen Strom verbrauchen. Sobald man also Vertical Farming betreibt, kommt man um einen höheren Energiebedarf nicht herum.

Beim Wassersparen die Nase vorn

Doch Körner verweist auch auf die Vorteile der Indoor-Systeme. „Man hat eine ziemlich hohe Wasserwirkungseffizienz. Die können Sie auch in einem modernen Gewächshaus erreichen, aber dann benötigen Sie mehr Fläche.“ Somit kommt es also darauf an, was der limitierende Faktor innerhalb einer Region ist. Mangelt es an Platz oder Wasser, nicht aber an billigem Strom, kann die vertikale Farm rentabel und ressourcenschonend sein. „Ich habe oft mit Leuten diskutiert, ob es nicht sinnvoll wäre, Vertical Farming in Berlin aufzubauen“, nennt Körner ein Beispiel. „Und da lautet meine Einschätzung: Nein! Denn um Berlin herum liegt Brandenburg, man hat dort viel Land und viel Fläche bei geringen Transportwegen. Am Stadtrand Berlins oder in Brandenburg kenne ich Gewächshäuser, die nicht mal optimal genutzt werden und teilweise fast vergammeln. Mit solch einem Umland sehe ich keinen Grund, eine vertikale Farm zu bauen.“

Ganz anders sieht es in Wüstenregionen aus, wo permanent Sonnenlicht als Energiequelle verfügbar ist und die Stromgewinnung somit nicht als limitierender Faktor ins Gewicht fällt. Hier zahlt sich dann auch die Wassereffizienz geschlossener Systeme aus. Hierzulande sei Wasser zwar vielerorts noch lächerlich billig; auch das dürfte sich aber wohl in der nahen Zukunft ändern. Körner sieht nach aktuellem Stand der Dinge für unsere Breiten eher in modernen Gewächshäusern eine Zukunft, zumal sich diese ja ebenfalls geschlossen betreiben lassen. „Das hat den Vorteil, dass man kostenlos Licht hat, aber natürlich den Nachteil, dass man nicht so präzise die Bedingungen steuern kann.“

Je nachdem, was man erzeugen möchte, können genau diese exakt kontrollierbaren Parameter nämlich sehr wohl die hohen Energiekosten rechtfertigen. „Das ist immer dann der Fall, wenn die Produkte sehr homogen sein müssen“, so Körner. Als Beispiel nennt er Pflanzen für die Produktion von Arzneimitteln. Über die exakt regulierbaren Licht- und Klimaverhältnisse sowie den Zusatz der richtigen Nährstoffmengen können Pflanzen von gleicher Qualität wachsen. Hierzu sei auch erwähnt, dass Pflanzen in solchen Farmen dank sogenannter Hydroponik ganz ohne Erde gedeihen können. Die Wurzeln sind in definierten Substraten platziert, und Wachstumsbedingungen lassen sich leichter reproduzieren.

Reproduzierbarkeit für medizinische Zwecke

Die Aufzucht von Arzneipflanzen unter Indoor-Bedingungen ist eines der Projekte, denen sich Heike Mempel widmet. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) hat sie die Professur „Technik im Gartenbau und Qualitätsmanagement“ inne. „Wir arbeiten mit Baldrian, Rhodiola, Minze und Rosmarin“, nennt Mempel einige Beispiele. „Sobald pflanzliche Rohstoffe in die Weiterverarbeitung gehen, ist es von großem Vorteil, wenn Sie standardisierte Rohmaterialien verwenden können, die nicht jeden Tag andere Zusammensetzungen haben.“ In diesem Fall sei das Licht nämlich nicht allein für die reine Biomasse relevant, fährt Mempel fort: „Licht in seiner Zusammensetzung ist eben auch für den Sekundärstoffwechsel wichtig – und damit für die Inhaltsstoffe, die wir produzieren wollen.“

Das teure künstliche Licht ist dann also Mittel der Wahl. „Solange wir von der Sonne abhängig sind, haben wir ja auch Schwankungen“, begründet Mempel, „und so könnte sich Vertical Farming irgendwann auch einmal in Europa lohnen“. Allerdings braucht es noch mehr Forschung bis zur „standardisierten Arzneipflanze“, räumt Mempel ein. „Derzeit machen wir hierzu unter anderem auch qualitative Studien, um herauszufinden, für welche Pflanzen und für welche Roh- und Inhaltsstoffe Vertical Farming überhaupt interessant sein könnte“. Zugleich stellt sie klar, dass eine Standardisierung etwa bei frischen Nahrungsmitteln kaum relevant oder gar wirtschaftlich sein dürfte. „Wir sollten also nicht plötzlich alles in die Vertical Farm stecken. Natürlich spricht vieles dafür, für andere Produkte das Sonnenlicht zu nutzen!“

Eine Frage der Mentalität

Ebenfalls an der HSWT forscht Sabine Wittmann mit dem Schwerpunkt auf Vertical Farming. Auch sie betont die jeweils begrenzenden Faktoren, die in verschiedenen Regionen anders sein können. Sind Fläche oder Wasser knapp? Ist Strom teuer oder gibt es Energiequellen wie Wind oder Sonne? Doch auch die Mentalität spiele eine entscheidende Rolle, berichtet Wittmann über ihre Erfahrungen. „Wir waren in Asien und haben uns die Gegebenheiten dort angesehen. Und die Asiaten sind durchaus gewillt, mehr zu bezahlen für den Salat, weil sie bei Pflanzen vom Feld Kontamination befürchten und Produkte aus geschlossenen Systemen bevorzugen.“

Mempel ergänzt, dass auch politische Entscheidungen relevant sind. „Singapur möchte 30 Prozent der Lebensmittel im eigenen Land produzieren“, erklärt sie. Dabei steht dem dicht besiedelten Stadtstaat wenig Fläche zur Verfügung – Vertical Farming bietet in dieser Region also den Vorteil flächeneffizienter Nutzung. Am Ende müsse man alle drei Komponenten des Pflanzenanbaus gemeinsam betrachten: Freiland, Gewächshäuser und Indoor-Farmen. „Ich bin überzeugt, das Vertical Farming hier seinen Platz finden wird“, schaut Mempel in die Zukunft, betont aber auch, dass die anderen Anbaustrategien dadurch nicht verschwinden werden.

Wittmann weist darauf hin, dass bedingt durch den Klimawandel schwankende Witterungsbedingungen im Freiland auch in unseren Breiten für die Landwirtschaft künftig zur Herausforderung werden könnten. „Wir sehen das ja jetzt schon in Deutschland, wenn es lange Zeit sehr trocken bleibt und plötzlich ein Starkregen-Ereignis folgt, das die Landwirtschaft an diesem Ort bislang nicht kannte. Da müssen wir neue Strategien finden!“

Vorteile sehen Mempel und Wittmann für vertikale Farmen und moderne Gewächshäuser auch, wenn es um den Schutz vor Schädlingen geht. Man könne die Systeme fast komplett dicht machen, so Mempel. „High-Tech-Gewächshäuser brauchen dank Hydroponik ebenfalls keinen Boden mehr“, nennt Wittmann einen weiteren Vorteil, der das Risiko für das Einschleppen von Pathogenen verringert. Einen Aspekt, den Mempel und Wittmann auch in einem 2021 gemeinsam mit Ivonne Jüttner, ebenfalls HSWT, verfassten Übersichtsartikel zum Potential von Indoor-Farmen nennen (AT-Autom., 69(4): 287-96), ist die Automatisierung. „Der Mensch als Vektor wäre komplett außen vor und müsste die Vertical Farm gar nicht mehr betreten, was den Pathogendruck weiter verringert“, so Wittmann.

Gerätekosten werden sinken

Genau diese teure Automatisierungstechnik in den vertikalen Farmen nennen die Kritiker aber neben dem Strombedarf als Kostentreiber. Am Ende, so sagen böse Zungen, produziere man bloß überteuerten Salat. Das aber werde sich ändern, ist Mempel zuversichtlich: „Für die Vertical Farm gibt es derzeit noch keine standardisierten Komponenten, wie wir sie im Gewächshaus haben. Im Moment sind das alles noch Sonderanfertigungen.“ Sobald aber technische Lösungen in Serie gehen, würden die Kosten sinken und mit denen eines High-Tech-Gewächshauses vergleichbar sein, schätzt Mempel.

Auffällig ist, dass derzeit vor allem Salate oder „Leafy Greens“ in vertikalen Farmen produziert werden. Also nicht gerade jene kalorienreichen Produkte wie Reis, Kartoffeln oder Getreide, mit denen man die Welt ernähren könnte. „Salat anzubauen ist einfacher, weil Sie nach relativ kurzer Zeit einen Ertrag haben“, begründet Mempel diesen Trend der ersten Welle vertikaler Farmen. „Viele Start-ups haben angefangen mit Idealisten, die überhaupt nicht aus dem Gartenbau kommen“, fügt sie hinzu. Prinzipiell könne man aber auch Getreide indoor produzieren, und daran werde auch geforscht. „Allerdings brauchen wir weltweit so viel Getreide, dass ich nicht glaube, dass es Sinn macht, diese Pflanzen generell in Vertical Farms zu packen“, gibt Mempel zu bedenken. Wenn überhaupt, mache das nur für einzelne spezielle Standorte Sinn. „Ich war noch nie ein Freund davon, Vertical Farming als die Lösung für die Welternährung zu sehen“, resümiert sie, „sondern wir müssen alle Kultursysteme sinnvoll miteinander verzahnen.“

Wittmann gibt zu bedenken, dass unsere Kulturpflanzen bislang für ganz andere Bedingungen optimiert wurden. „Fairerweise müssen wir also einräumen, dass es erst noch die Sorten geben muss, die sich mit kurzen Kulturzeiten für Vertical Farming eignen. Da muss man also erstmal in die Züchtung gehen.“

Somit haben viele der Firmen, die jetzt eine Bruchlandung erleiden, vielleicht einfach aufs Vertical Farming gesetzt, bevor die Zeit reif dafür war. Denn vieles an Forschung und Entwicklung hierzu steht noch auf der To-do-Liste. Dennoch mag man sich aber fragen, wie die Start-ups rund ums Vertical Farming die Herausforderungen so enorm unterschätzen konnten. Im eingangs zitierten Artikel aus dem Handelsblatt heißt es, Infarm habe mit der Firmengründung 2013 mehr als 600 Millionen US-Dollar von Investoren eingeworben. Noch 2021 sei der Wert des Unternehmens auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt worden. Die Gründerszene rund ums Vertical Farming hatte interdisziplinäres Know-how von Ingenieuren bis hin zu Pflanzenphysiologen rekrutiert. Wie also konnte die geballte Expertise sich so irren?

Auch Mempel kann hier nur spekulieren. „Vielleicht hat man das Marktwissen und die praktischen Aspekte zum Pflanzenbau unterschätzt“, vermutet sie. Sie selbst habe auch schon erlebt, dass jemand sein Produkt stolz präsentiert, obwohl ein Gärtner oder ein Abnehmer aus dem Handel sofort sehen könnte, dass die Mindeststandards nicht erfüllt sind. „Die Qualitätsaspekte spielen eine wichtige Rolle, es geht nicht nur darum, dass da ein bisschen Grün wächst.“