Editorial

Selbst Karl-Friedrich Boerne lernt dazu

Publikationsanalyse 2012-2021: Hals-Nasen-Ohren-Forschung
von Mario Rembold, Laborjournal 4/2023


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Comic-Zeichnung mit Ohren-krankem Hasen, Hals-kranker Giraffe und Nasen-krankem Elefant
Illustr.: iStock / pukrufus

(18.04.2023) Im Analysezeitraum präsentiert sich die HNO-Forschung als bunte Disziplin. Auch ein Artikel für Fans des „Tatorts aus Münster“ ist dabei.

In Vorbereitung auf dieses Ranking hat sich der Autor das Wort „Otorhinolaryngology“ in die Zwischenablage kopiert, um bloß keinen Vertipper zu riskieren – die Datenbank im Web of Science nimmt die Suchanfragen sehr genau. Mit dem Begriff „Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde“ kann dagegen jeder etwas anfangen, aber wir werden im Folgenden der Lesbarkeit halber einfach nur das Kürzel „HNO“ verwenden.

Thematisch befinden wir uns mit der vorliegenden Publikationsanalyse zwar am Kopf, nicht aber im zentralen Nervensystem. Die Grenzen mögen im Einzelfall verwischen – ein aktuelles Beispiel hierfür betrifft den Geruchs- und Geschmacksverlust während einer SARS-CoV-2-Infektion. Sind die oberen Atemwege bei einem Infekt betroffen, ist der HNO-Arzt zuständig. Die Riechrezeptoren jedoch sind direkte Ausläufer des Riechnervs, der wiederum ohne Verschaltung direkt ins zentrale Nervensystem führt. Damit kann die Nasenschleimhaut für die Coronaviren zum Einfallstor ins Gehirn werden. Genau darum geht es in der Arbeit der aktuellen Artikel-Tabelle, die im Analysezeitraum am zweithäufigsten zitiert wurde.

Corona mit in der Liste

Andere Veröffentlichungen mit HNO-spezifischen Schlagwörtern rund um SARS-CoV-2 haben wir aber nicht berücksichtigt. Warum? Die Studien, die für die Top Ten in Frage gekommen wären, verfolgten die Viruslast in den einzelnen Organen oder die Symptome der Betroffenen. Dabei war der Nasen-Rachen-Raum nur einer von vielen Schauplätzen, und es ging darüber hinaus um Lungenentzündungen oder die Antwort des Immunsystems. Das war uns dann nicht genug aufs Thema fokussiert. Zumal auf den Autorenlisten dieser Corona-Artikel kein Name steht, den wir – trotz Daten zum Geschehen in Nase und Rachen – explizit der HNO-Forschung zuschreiben. Vielmehr sind dort in erster Linie Neuropathologen und Virologen gelistet.

Wer in diesem Publikationsvergleich tatsächlich als vielzitierter HNO-Vertreter in Frage kommt, dafür haben wir uns ziemlich konsequent an unsere beiden wichtigsten Kriterien gehalten: Jemand sollte entweder regelmäßig Artikel in entsprechenden HNO-Fachblättern veröffentlichen oder aber sich über die Institutsbezeichnung der HNO-Community zugehörig zeigen.

Dennoch gibt es einige wenige Ausnahmen. Eine davon steht gleich auf Platz 2 der „Köpfe“-Liste: Bill Hansson vom Max-Planck-Institut (MPI) für Chemische Ökologie in Jena. Er erforscht das Verhalten von Insekten und insbesondere deren Geruchssinn. Dabei liegt er an der Schnittstelle zwischen Sinnesphysiologie, Neurobiologie und Verhaltensforschung. Weil das Riechen bei seinen Arbeiten aber einen so zentralen Platz einnimmt und er grundlegende Mechanismen aufdeckt, die auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur menschlichen Nase aufzeigen, haben wir ihn hier berücksichtigt. Auch sein Kollege Markus Knaden landet deswegen auf Platz 20.

Kriterien eng halten

Ein anderer Exot ist der Zellphysiologe Hanns Hatt (16.) von der Uni Bochum, der Sinneszellen erforscht, dabei aber ein besonderes Interesse für die Riechrezeptoren erkennen lässt.

Der Blick über den Tellerrand der klassischen HNO-Zunft birgt für die vorliegende Publikationsanalyse allerdings auch Fallstricke: Weil diese Leute nicht primär in den typischen HNO-Journalen veröffentlichen und auch nicht über ihre Institutsnamen im Filter hängenbleiben, kann uns der eine oder andere Kandidat durchs Netz schlüpfen. Allerdings dürfte das vor allem jene betreffen, die ohnehin besser unter den Neuroforschern, Immunologen oder Physiologen aufgehoben sind, die ja jeweils eigene Publikationsvergleiche bekommen. Würden wir jeden berücksichtigen, der im Analysezeitraum Schlagworte rund um das Riechen, Hören oder zu Allergien in seinen Artikeln hatte, würden wir weit über die reine HNO-Forschung hinausgehen.

Dank dieser eng gefassten Kriterien liegt der Fokus bis auf wenige, aus unserer Sicht gut begründbare Ausnahmen nahe an jenen humanmedizinischen Inhalten, die auch einer HNO-Ärztin in ihrer Laufbahn begegnen. Schnittstellen zur Neuroforschung gibt es unter anderem etwa dort, wo es um Cochlea-Implantate geht. Hier aber bleibt der Ort des Interesses im Innenohr. Der meistzitierte Vertreter dieser Teilrichtung heißt Thomas Lenarz (7.) und ist tätig an der Medizinischen Hochschule Hannover. Darüber hinaus schreibt Lenarz auch Paper zu pharmakologischen Interventionen bei Hörstörungen.

Bunte Tabellen

Mit der Onkologie überschneidet sich die HNO-Community wiederum wegen der Kopf-Hals-Karzinome. In dieser Riege am häufigsten erwähnt war Orlando Guntinas-Lichius (8.) von der Uniklinik Jena. Für jene – oft chirurgisch erfahrenen – Tumorexperten gilt aber, dass sie hauptsächlich „am Kopf“ tätig sind. Wer sich allgemein für die Krebsentstehung interessiert und die Kopf-Hals-Tumore nur als eine von vielen Manifestationen der Erkrankung auf der Liste hat, gehört zu den Onkologen.

Allergien sind zwar grundsätzlich Sache der Immunologen, aber natürlich kommen auch Dermatologen, Lungenforscherinnen und eben HNO-Ärzte auf ihre Kosten. Wir haben uns dabei auf die Nase beschränkt und damit auf Forscher, deren Arbeiten vor allem Themen wie Heuschnupfen oder chronische Rhinosinusitis abdecken. Hier landet Oliver Pfaal von der Uniklinik Marburg mit über 5.300 Zitierungen auf dem dritten Platz.

Auch wenn die wenigsten „Köpfe“ exklusiv zu einem einzelnen Schlagwort publizieren – die zuletzt genannten Themen sind dann doch Schubladen, in die man den einen oder anderen Namen klar einsortieren kann. Demnach kommen wir auf acht Namen mit Bezug zu onkologischen Kopf-Hals-Erkrankungen, sieben „Köpfe“ forschen zu Allergien – und viermal kommen die Zitate in erster Linie über Beiträge zu Cochlea-Implantaten zustande.

Alles in allem fallen die Tabellen aber thematisch sehr bunt aus. Es gibt kein klares Cluster in den Top Ten, sondern die Interessen der „Köpfe“ verteilen sich recht homogen über die Top 30. Die Pole Position ergattert dabei Thomas Hummel von der Technischen Universität Dresden, der damit seit dem letzten HNO-Ranking 2016 mit Bill Hansson (2.) die Plätze getauscht hat. Störungen beim Riechen, zum Beispiel im Rahmen neurologischer Erkrankungen wie Parkinson, stehen im Mittelpunkt seiner Forschung.

Auch Gleichgewichtsstörungen, sofern sie mit dem Innenohr im Zusammenhang stehen, gehören zum Tätigkeitsfeld der HNO-Community. Mit Michael Strupp (4.) von der LMU München steht auch hier ein Repräsentant in den Top Ten.

Zum Tatort aus Münster

Die reinen Zitierzahlen reichen von 9.387 auf Platz 1 bis 1.648 für Position 30. Große Sprünge gibt es nicht, vielmehr liegen einige Plätze nur wenige Zitate auseinander. Ohne große Zahlensprünge und thematisch vielfältig liest sich auch die Tabelle mit den zehn meistzitierten Artikeln. Lesestoff gibt es dort zu Schlafapnoe (1.), Corona (2.), HP-Viren und deren Einfluss auf Krebserkrankungen am Kopf (5.), zum Geruchssinn der Insekten (7.) und zu Hörimplantaten (9.). Mit vier Artikeln hat die Nase „die Nase vorn“ – es geht um chronischen Schnupfen (3., 4., 9.) und eine Immuntherapie gegen Gräserallergien (6.).

Was aber hat es mit dem Artikel auf Platz 10 der Tabelle auf sich? Falls Sie mit erblich bedingten tödlichen Kehlkopfattacken nichts anfangen können, sind Sie in guter Gesellschaft. Selbst Rechtsmediziner Professor (!) Karl-Friedrich Boerne war zunächst ratlos, als er im Münsteraner Tatort mit dem Titel „MagicMom“ den rätselhaften Tod einer Frau aufdecken wollte. Falls Sie die Folge noch in der ARD-Mediathek nachholen wollen, möchten wir nicht weiter spoilern. Aber das Hereditäre Angioödem gibt es nicht nur im Krimi, sondern es handelt sich tatsächlich um eine seltene Erbkrankheit, die mit einem Mangel des C1-Inhibitors (C1-INH) einhergeht. Schwellungen der Haut und Schleimhäute können auftreten, und selten kommt es eben auch zu jenem lebensbedrohlichen Anschwellen des Kehlkopfes, dem sich die Autoren des Artikels auf Platz 10 widmen.

Namentlich hervorheben wollen wir die beiden einzigen Frauen der „Köpfe“-Liste: Silke Sachse (30.) erforscht wie Hansson und Knaden am MPI Jena den Geruchssinn der Insekten. Chronischem Schnupfen und Allergien auf der Spur ist Heidi Olze (13.) an der Berliner Charité.

Ein deutliches regionales Cluster der HNO-Forschung geht aus den Top-30-„Köpfen“ hingegen nicht hervor. Am häufigsten, nämlich viermal, taucht Jena auf – dreimal dank der Insekten-affinen Neuroethologen am MPI. Andere Städtenamen gibt es aber maximal zweimal zu lesen, sodass ein regionaler Vergleich wenig sinnvoll scheint. Auch in der Fläche verteilt sich die HNO-Forschung also homogen. Und Österreich und die Schweiz sind übrigens je zweimal unter den 30 meistzitierten „Köpfen“ vertreten.


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Letzte Änderungen: 19.04.2023