Editorial

Von Allergie bis Zöliakie

Publikationsanalyse 2011-2015: Immunologie
von Mario Rembold, Laborjournal 04/2017


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Illustr.: freshidea / Fotolia

Ein gestörtes Immunsystem kann unterschiedlichste Krankheiten auslösen: Heuschnupfen, Rheuma, Leukämie, Multiple Sklerose oder Darmentzündung. Entsprechend vielseitig forschen die Immunologen.

Einen Organismus kann man sich wie eine Stadt vorstellen, zu der sich immer wieder zwielichtige Gestalten Zutritt verschaffen wollen. Es gibt Kleinkriminelle und Schwerverbrecher, aber auch vollkommen harmlose oder sogar hilfsbereite Besucher. Man sollte also nicht gleich jeden fortschicken, der ans Stadttor klopft – aber dennoch beherzt gegen echte Bedrohungen vorgehen. Und so nehmen Polizisten immer wieder die Personalien auf und kontrollieren sogar die eigenen Bewohner.

Klar, die Rede ist vom Immunsystem. Das ist bei uns Säugetieren zwar ziemlich ausgeklügelt, doch umso mehr können Fehlsteuerungen weitreichende Folgen nach sich ziehen. Um im Bild unserer Stadt zu bleiben: Wer die Wasserstoffbombe auspackt, um eine Gruppe Taschendiebe zu bekämpfen, würde die ganze Stadt verwüsten.

Entsprechend kann auch ein anaphylaktischer Schock tödlich enden. Aus diesem Grund interessiert auch Allergologen, wie das Immunsystem funktioniert und wie es sich therapeutisch regulieren lässt – damit die Leukozyten nicht gleich wegen einiger harmloser Fremdproteine durchdrehen. Die Barriere zum Organismus, quasi die Stadtmauer, ist die Haut – hier sind die Dermatologen gefragt. Auch die Gastroenterologie sei erwähnt: Das Verhältnis zwischen nützlichen und schädlichen Bakterien sowie deren Regulation durch das Immunsystem entscheiden mit über den Gesundheitszustand des Darms.

Ausstrahlung in alle Richtungen

Aber auch in den eigenen Reihen droht Gefahr, wenn einer der Bewohner plötzlich eigene Wege geht und die Gesetze der Stadt ignoriert. Hier muss die Polizei eingreifen! Übertragen auf die Biologie heißt das: das Immunsystem verhindert im Idealfall auch das Entstehen bösartiger Tumore. Manch ein Krebsforscher ist daher auch zugleich Immunologe.

Wenn aus der harmonischen Stadt ein Polizeistaat wird und die Beamten gegen unbescholtene Bürger vorgehen, haben wir die Analogie zur Autoimmunerkrankung. Solchen Phänomenen sind beispielsweise Neurobiologen auf der Spur, die Therapien gegen Multiple Sklerose entwickeln und verhindern wollen, dass das Immunsystem das körpereigene Myelin abbaut.

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Diese Beispiele zeigen, dass Immunologe nicht immer gleich Immunologe ist. Vielmehr ist das Immunsystem höher entwickelter Wirbeltiere so komplex, dass es für jeden einzelnen Aspekt wieder Spezialisten gibt.

Andererseits haben viele dieser Experten bereits ihre eigenen Publikationsanalysen im Laborjournal. Denken wir an entzündlich-rheumatische Erkrankungen: Rheumatologen sind Immunforscher; doch würden wir alle von ihnen auch in der Publikationsanalyse Immunologie berücksichtigen, wäre ein eigenes Rheuma-Ranking obsolet. Wenn man aber umgekehrt die meisten Immunologen auch anderen Schubladen wie etwa Dermatologie, Onkologie, Neurowissenschaften oder Pneumologie zuordnen kann, dann bräuchten wir die aktuelle Immunologie-Analyse nicht.

Unter den Tisch fiele damit aber, dass eine ganze Reihe von Forschern primär an der Architektur und Funktionalität des Immunsystems per se interessiert ist. Genauso wie ein auf Immunzellen spezialisierter Leukämieexperte daher mehr thematische Überschneidungen mit einem Allergologen haben kann als mit manch anderem Onkologen. Das Immunsystem ist nun mal eine eigene, wenn auch weitreichende „Welt“, die eine eigene Betrachtung verdient.

Hauptkriterium: Immunologie-Journals

Um dem gerecht zu werden, haben wir uns um eine sinnvolle Abgrenzung zu anderen Forschungsdisziplinen bemüht – und etwa die Rheuma- und Allergie-Epidemiologen außen vor gelassen. Eine Ausnahme bildet Charlotte Braun-Fahrländer (44.) vom Schweizer Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Sie schrieb an der Arbeit auf Rang 7 der meistzitierten Artikel mit, in der es um die Exposition gegenüber Mikroorganismen und das damit veränderte Risiko für Kindheits-Asthma geht. Wieterhin war Braun-Fahrländer an Artikeln zu Immunglobulinen in der Muttermilch, Vitamin E im Blutplasma oder inflammatorischen Antworten bei Kindern beteiligt. Rund die Hälfte ihrer 48 Artikel des Analysezeitraums sind in Immunologie-Journals erschienen, so dass wir davon ausgehen, dass sie nicht nur an Erkrankungsrisiken von Bevölkerungsgruppen, sondern auch an den eigentlichen Immunmechanismen interessiert ist.

Überhaupt war das häufige Auftauchen in speziellen Immunologie-Journals unser Hauptkriterium für die Einteilung. Trotzdem lässt sich nicht vermeiden, dass einige Namen auch in anderen Rankings vorkommen. So führt etwa Georg Schett von der Uniklinik Erlangen die „Köpfe“-Liste an, ist aber auch im Rheumatologen-Ranking vertreten. Der Grund: Er hat in Zeitschriften beider Disziplinen fleißig publiziert.

Auf diese Weise steht die „Köpfe“-Liste natürlich für eine bunte Mischung unterschiedlicher Forschungsthemen. Der Mikrobiologe Andreas Diefenbach (7.) von der Berliner Charité untersucht die Lymphozyten-Reifung, schaut sich an, wie das angeborene Immunsystem bei der Pathogenerkennung hilft und hat auch Paper zu Mikroglia-Zellen mit verfasst. Auch andere Infektiologen und Virologen tauchen im Ranking auf. Zum Beispiel HIV-Forscher Jürgen Rockstroh (10.) von der Uniklinik in Bonn. Gut zehn Prozent der meistzitierten Immunologen legen ihren Schwerpunkt auf HIV und die Erforschung AIDS-assoziierter Sekundärinfektionen.

Aus der Onkologie sind es vor allem Krankheiten des blutbildenden Systems, die in immunologischen Journals besprochen werden. Hermann Einsele (2.) vom IMBA in Wien ist hier zu nennen. Er widmet sich unter anderem Stammzelltransplantationen und damit einhergehenden Graft-versus-host-Reaktionen, bei der das transplantierte Spender-Immunsystem seinen neuen Wirt angreift.

Neurologen schaffen es vor allem durch Artikel über Multiple Sklerose oder Mikroglia in die Köpfe-Liste; so etwa der Neuropathologe Marco Prinz (12.) von der Uniklinik Freiburg oder der Neuroimmunologe Hans Lassmann (17.) von der Medizinischen Universität Wien.

Asthma, allergische Rhinitis und deren Behandlung durch spezifische Immuntherapie dürfen natürlich auch nicht fehlen – hier liegt Cezmi Akdis (6.) vom SIAF in Davos vorn. Ebenso gibt es Dermatologen wie Marcus Maurer (8.) in der Liste, der Mastzellen erforscht und Patienten betreut, die von Pruritus oder Urtikaria geplagt werden.

Dass die aktuelle „Köpfe“-Liste durch Mediziner geprägt ist, ist auch unseren Auswahlkriterien geschuldet. Hätten wir unser Netz allgemeiner nach Papern zur Pathogen-Abwehr ausgeworfen, wären wir auch auf das bakterielle CRISPR/Cas9-System gestoßen, das virale Eindringlinge erkennt. Ebenso wenig hätten wir dann die Botaniker außen vor lassen dürfen, denn auch Pflanzen schützen sich vor Parasiten und Infektionen. Ein sinnvoller Vergleich und Überblick wäre dann aber kaum mehr möglich gewesen, weshalb hier nur die Immunologie im klassischen, humanmedizinischen Sinne vertreten ist.

Nur klassische Immunologie

Ein Blick auf die Liste der meistzitierten Artikel zeigt trotz der thematischen Bandbreite einen roten Faden mit Stichworten, die aus immunologischen Lehrbüchern bekannt sind. Von T-Zellen, Zytokinen oder Makrophagen ist in den Überschriften die Rede. Auf der Top-Position finden wir ein Guidelines-Paper zur Zöliakie-Diagnostik; man mag darin eher einen Review sehen, doch die Arbeit ist in der Web of Science-Datenbank als „Article“ kategorisiert.

Zuletzt noch ein Blick auf die regionale Verteilung: Als Hot-Spots fallen Berlin, Wien, München und Zürich auf, wobei die Universität Zürich noch einen Ableger in Davos hat, wo zwei Forscher unserer „Köpfe“-Liste arbeiten. In Berlin bot die Charité sechs der meistzitierten Forscherköpfe während des Analysezeitraums eine Heimat (Johannes Scheid ist mittlerweile nach New York abgewandert). Berücksichtigt man, dass Andreas Diefenbach bis 2013 an der Uniklinik Freiburg geforscht hat, ist auch die Stadt im Breisgau viermal vertreten. Insgesamt verteilen sich die Immunologen aber recht gleichmäßig im Laborjournal-Verbreitungsgebiet.


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Letzte Änderungen: 29.03.2017