Editorial

"Multi-Forscher" vorne

Zitationsvergleich 1998 bis 2000: Rheumaforschung
von Ralf Neumann, Laborjournal 5/2003


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Keine andere Disziplin wurde bisher derart von klinischen Multi Center-Studien dominiert. Was den Zitationsvergleich ein wenig in Schieflage bringt.


Beginnen wir mit einem langen Zitat aus dem Rheuma-Lexikon von rheuma-online.de, Stichwort "Rheumatologie": "Im internationalen Verständnis ist die Rheumatologie die Medizin des Bewegungssystems. Gegenwärtig sind etwa 400 bis 500 einzelne rheumatische Krankheiten und Syndrome bekannt. Sie unterteilen sich in die drei großen Gruppen der entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, der degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sowie die weichteilrheumatischen Erkrankungen. "Rheuma" gehört zu den häufigsten behandlungsbedürftigen Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen in Deutschland. Der Rheumabericht der Bundesregierung von 1997 schätzt, dass etwa ein Drittel aller Frührenten, ein Fünftel der Krankenhaustage und ein hoher Prozentsatz aller Arztbesuche durch rheumatische Erkrankungen begründet sind."


Erfolgreich aufgeholt

Und ein paar Zeilen weiter heißt es dann: "In Deutschland hat sich die Rheumatologie in der Vergangenheit zunächst aus der Kurmedizin und Kurortmedizin, später aus spezialisierten rheumatologischen Kurkliniken entwickelt. Erst gegen Ende der Sechziger Jahre und im Verlauf der Siebziger Jahre etablierte sich in Deutschland eine wissenschaftliche Rheumatologie an den Universitäten und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Dies hat zum einen dazu geführt, dass Deutschland für viele Jahre in der Rheumaforschung im internationalen Vergleich einen erheblichen Nachholbedarf hatte. Glücklicherweise konnte durch intensive Anstrengungen der deutschen Wissenschaftler und umfangreiche Förderprojekte durch die verschiedenen Bundesregierungen dieser Rückstand bis heute völlig aufgeholt werden. Im Gegenteil sind deutsche Wissenschaftler in vielen Bereichen der Rheumaforschung heute unter den führenden Forschergruppen zu finden und arbeiten maßgeblich in internationalen Forschungsprojekten mit."


Versteckte Autoren

Mit diesen internationalen Forschungsprojekten scheinen die Autoren insbesondere so genannte Multi Center-Studien zu meinen. Vorrangig klinische Studien also, bei denen eine Vielzahl von Patientendaten aus mehreren großen Abteilungen koordiniert und integriert ausgewertet werden. Solche Multi-Center-Studien waren für die Jahre 1998-2000 auch die "Zitate-Renner" in der Rheumatologie. Gleich die ersten sieben unter den meistzitierten "Rheuma-Papern" dieses Zeitraums mit Beteiligung aus dem deutschen Sprachraum ordnet Medline in diese Kategorie ein. Lediglich die Paper auf den Plätzen 8 und 10 widmen sich grundlegenden immunologischen Aspekten potenzieller rheumatologischer Erkrankungen, während auf Platz 9 wiederum eine "einfache" klinische Studie steht.

Eine solche Dominanz von Multi-Center-Studien gab es bisher bei noch keiner anderen der klassischen klinischen Disziplinen. Was heißt das? Werden in der Rheumatologie besonders viele Multi-Center-Studien durchgeführt? Oder besonders gute? Oder finanziert die Pharmaindustrie gerade hier viele solcher Studien? Oder anders herum: Sind hier die Ergebnisse aus der molekularen, biochemischen und immunologischen Grundlagenforschung im Verhältnis nicht so "Zitate-attraktiv" wie in den anderen Disziplinen? Der Zitationsvergleich kann diese Fragen nicht beantworten.

Zumal diese Dominanz der Multi Center-Studien dem Vergleich selbst genügend Probleme beschert. Wir hatten das Thema ja schon: Als Autoren fungieren bei diesen Studien in aller Regel an prominenter Stelle lediglich die Direktoren der teilnehmenden Kliniken. Der ganze Rest, der im Prinzip die eigentliche Arbeit des Erfassens und Auswertens der Patientendaten macht, erscheint dann oftmals nicht extra namentlich erwähnt unter Sammelbezeichnungen wie "and the ATTRACT Study Group" im meistzitierten Paper unserer Analyse.

Der relative Beitrag der Direktoren ist dabei sicherlich geringer als bei einem "normalen" Research Article, dennoch schlagen ihnen die Datenbanken die vollen Zitate auf ihr persönliches Konto. Bei allen denen, die hinter den "Study Groups" versteckt werden, ist das nicht der Fall.


Starkes Berlin

Das verzerrt den Zitationsvergleich, keine Frage. Und aus diesem Grund macht es sicherlich Sinn diejenigen Forscher aus den Top 50 nochmals extra aufzuführen, die auf besondere Weise von dieser Schieflage profitieren: Da sind zu allererst die beiden Erstplatzierten, Joachim Kalden aus Erlangen und Josef Smolen aus Wien, die mit ihren Kliniken jeweils an vier der fünf meistzitierten internationalen Studien beteiligt waren. Weiterhin sammelten insbesondere der Hannoveraner Henning Zeidler (10.) sowie Rolf Rau von der Fachklinik Ratingen (11.) einen Löwenanteil ihrer Zitierungen durch Beteiligungen an Multi Center-Studien.

Von denen ohne Multi Center-Studien kam Andreas Radbruch, der Leiter des deutschen Rheumazentrums in Berlin, auf die meisten Zitierungen. Und repräsentiert damit das starke Abschneiden der Hauptstadt allgemein. 18 Berliner Forscher schafften es unter die Top 50 – so viele wie noch kein Standort in keinem der bisherigen Vergleiche zuvor.

"Berlin: Hauptstadt der deutschen Rheumatologie" wurde unlängst getitelt. Und das offenbar nicht nur, weil es dort viel Rheumatologie gibt.



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Letzte Änderungen: 08.09.2004