Falten, winden, drehen, binden
Zitationsvergleich 1997 bis 1999: Strukturbiologie
von Ralf Neumann, Laborjournal 6/2002
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Strukturbiologen scheinen latent preisverdächtig. Kein Wunder - denn wer die richtigen Molekülstrukturen präsentiert, kann mit enorm vielen Zitierungen rechnen.
Strukturbiologen - wie soll man sie definieren? Probieren wir es mal salopp: Unter den Bioforschern sind sie diejenigen, die mit den größten und teuersten Geräten auf umso kleinere Biopolymere losgehen. Mit Mikroskopen, Spektroskopen oder gar mit Synchrotronstrahlung rücken sie Proteinen und Nukleinsäuren auf die Pelle, um diese, wie auch ihre Komplexe räumlich darzustellen, oder bei ihren ultraschnellen Faltungen, Bewegungen und Bindungen zu ertappen. Und um all dies wiederum aus den Rohdaten berechnen und modellieren zu können, rekrutiert die Strukturbiologie neuerdings auch immer leistungsstärkere Rechner.
Klar, dass bei dieser aufwändigen Forschung natürlich vor allem der Gedanke Pate steht, über die Strukturen auch Hinweise zur Funktion der betreffenden Moleküle zu erhalten. Nicht umsonst ist "Structural Genomics", die trotz des Nukleinsäure-trächtigen Namens vor allem die Architektur der kodierten Proteine untersucht, auch eine der Säulen dessen, was man als "Functional Genomics" zusammen fasst.
Und noch eines ist damit klar: dass Strukturbiologen bisweilen munter in dem Dreieck zwischen Biologie, Chemie und Physik spazieren gehen.
Diese "Grenzgänge" scheint die deutschsprachige Forschung indes recht gut zu beherrschen. Zum einen dokumentieren dies gleich zwei Chemie-Nobelpreise neueren Datums: 1988 für die Strukturdarstellung des photosynthetischen Reaktionszentrums eines Purpurbakteriums an die damaligen Münchner Hartmut Michel, Johann Deisenhofer und Robert Huber; sowie 1991 für den Zürcher Richard Ernst, einen der Protagonisten der Nuclear Magnetic Resonance (NMR)-Spektroskopie und deren Anwendung auf Biopolymere.
Bisweilen Fabrikmaßstab
Zum anderen zeichnen sich wenigstens die Arbeiten der Jahre 1997 bis 99 aus der hiesigen Strukturbiologie durch ein überdurschnittlich hohes Zitationsniveau aus. Man nehme nur einmal den meistzitierten dieser Artikel: die hochauflösende Darstellung des nukleosomalen Kernpartikels von Forschern um Timothy Richmond an der ETH Zürich. 736mal wurde dieses Paper innerhalb der knapp fünf Jahre nach seiner Veröffentlichung zitiert - die Spitzen-Paper der bisher analysierten Disziplinen schafften nicht annähernd soviel. Und Timothy Richmond brachte es nicht nur den neunten Platz bei den meistzitierten "Köpfen": Vor kurzem erkoren ihn die Juroren zum Gewinner des Schweizer Louis-Jeantet Preis für Medizin 2002. (Im Jahr davor war der Dortmunder Alfred Wittinghofer, 5., unter den drei Glücklichen.)
Doch Richmonds Paper ist noch lange nicht das Non-plus-ultra. Ein Artikel in Acta Crystallographica Section D-Biological Crystallography, der eine neue Software zur Bestimmung makromolekularer Strukturen durch Röntgenkristallographie oder NMR-Spektroskopie vorstellt, wurde seit seinem Erscheinen im September 1998 bis heute sage und schreibe 2197mal zitiert. An neunter Stelle der 14 Autoren zeichnete das Paper Matthias Nilges, damals noch am EMBL Heidelberg, heute am Institut Pasteur in Paris.
Weiterhin dokumentiert das hohe Zitationsniveau der Strukturbiologen, dass die Artikel 1997-99 mehr als 400mal zitiert sein musste, damit der entsprechende Forscher überhaupt unter die Top 50 kommen konnte. Für Platz eins, den der bereits erwähnte Nobelpreisträger Robert Huber einnimmt, war dagegen die "Kleinigkeit" von knapp 2500 Zitierungen nötig. Huber schaffte das unter anderem durch die "Masse", die seine am Martinsrieder MPI für Biochemie eingerichtete "Proteinstrukturfabrik" produzierte. Ganze 103 Publikationen zierte sein Name 1997-99, was im Schnitt alle 11 Tage ein Paper macht. Wahrscheinlich Spitze unter den deutschsprachigen Biologen.