Editorial

Rekombinase mit Zielprogrammierung - Zinkfinger-Rekombinasen

Tobias Ludwig


(21.03.2024) Rekombinasen mit integriertem Zinkfinger dürfen nicht zu stark auf ihre eigene Zielsequenz fixiert sein – die Zielerkennung übernimmt der Zinkfinger.

Wenn überkreuzte Chromosomenarme auseinandergezogen werden, passiert es hin und wieder, dass einer der Arme bricht. Zwar ist das zelleigene Reparaturteam schnell zur Stelle. Geht bei der Reparatur aber etwas schief und ein Teil des Chromosoms wird in der falschen Orientierung wieder eingebaut, entsteht eine Inversion. Nicht immer machen die hierdurch entstandenen Chromosomenmutationen, zu denen auch Duplikationen oder Translokationen gehören, Probleme. In einigen Fällen können sie aber zu schwerwiegenden Erkrankungen führen. Zuverlässig korrigieren lassen sich Chromosomenmutationen bisher nicht. Ein neuer Ansatz aus Dresden könnte dies jedoch ändern und CRISPR-Cas, dem bisherigen Goldstandard für das Genome Editing, ernsthaft Konkurrenz machen.

„Die größten Fortschritte beim Genome Editing wurden in den letzten Jahren in der Entwicklung von CRISPR-Nukleasen gemacht“, sagt Frank Buchholz. Der Professor für medizinische Systembiologie an der Technischen Universität Dresden beschäftigt sich schon einen Großteil seiner Karriere mit dem Genome Engineering. Die Nukleasen erzeugen Doppelstrangbrüche in der DNA, durch die mithilfe des DNA-Reparatursystems der Zelle einzelne Basen oder größere Teilstücke des Genoms ersetzt oder entfernt werden können. „Das funktioniert in experimentellen Settings oder in Pflanzen, in denen man Klone auswählen kann, auch ganz gut“, sagt der Molekularbiologe. „Für therapeutische Anwendungen ist diese Technik jedoch nicht optimal. Zahlreiche Studien belegen, dass Nukleasen oft sogenannte Off-Target-Effekte erzeugen.“

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Bei der Gentherapie kann man sich keine Fehlschüsse leisten. Rekombinasen, die von Zinkfingerdomänen ins Ziel geleitet werden, könnten eine bessere Trefferquote aufweisen als CRISPR-Cas. Foto: Pixabay

Dabei handelt es sich um genetische Modifikationen, die abseits der gewünschten Zielstelle auftreten – etwa größere Deletionen oder die sogenannte Chromothripsis. Bei dieser entstehen zahllose geclusterte Doppelstrangbrüche, die die Bildung von Tumoren auslösen können (Nat. Biotechnol. 368 (36): 765-71, Nat. Genet. 536 (53): 895-05). „Für therapeutische Anwendungen gilt natürlich der Grundsatz, nur die sichersten Werkzeuge zu nutzen. Da sehen wir die Rekombinasen im klaren Vorteil“, meint Buchholz.

Rekombinasen, die meist aus Bakterien, Viren oder Pilzen stammen, katalysieren die Rekombination von DNA-Abschnitten, die zwischen zwei spezifischen Zielsequenzen liegen. In der Regel sind die sogenannten Target Sites 30 bis 40 Basenpaare lang. Die Enzyme schneiden die entsprechenden DNA-Abschnitte aus, invertieren sie oder setzen sie an einer anderen Stelle wieder ein, ohne dazu die Hilfe der zellulären Reparaturmaschinerie zu benötigen. Sie arbeiten dabei sehr spezifisch und produzieren kaum Off-Target-Effekte.

Schwer zu designen

Rekombinasen könnten also ein prima Tool für das Genome Editing sein, wäre da nicht ein Problem: „Die Spezifität der Rekombinasen hängt von den Zielsequenzen ab. Die Enzyme sind aber so komplex, dass wir neue DNA-Bindedomänen nicht einfach so vorhersagen und designen können. Wir nutzen dafür die gerichtete Evolution, die jedoch sehr arbeitsaufwendig ist“, erklärt Buchholz. Die Dresdner Rekombinase-Spezialisten kamen daher auf die Idee, die Rekombinasen mit der DNA-Bindedomäne eines Zinkfingerproteins zu fusionieren. Ihre neue Methode zur Herstellung von Rekombinasen mit „Zielprogrammierung“ veröffentlichte die Gruppe kürzlich in Nature Biotechnology (doi.org/mj5x).

„Wir wollten ganz grundlegend wissen, ob wir die Aktivität der Rekombinasen steigern, ihre Spezifität anpassen und sie zu einem neuen Ziel führen können“, erklärt Liliya Mukhametzyanova, Erstautorin der Studie und ehemalige Doktorandin bei Buchholz. Das ultimative Ziel war eine Rekombinase, die ein beliebiges Ziel zuverlässig ansteuert und ihre Arbeit an diesem mit größter Sorgfalt verrichtet.

Als Ausgangspunkt wählten die Dresdner die aus einer Cre-Rekombinase evolvierte Tyrosin-Rekombinase Brec1, die eine 34 Basenpaare lange loxBTR-Zielsequenz erkennt. Kein unbekanntes Enzym für Buchholz‘ Gruppe. Bereits 2016 gelang es den Forschenden mit Brec1 das HI-Provirus aus infizierten humanen Zellen gezielt herauszuschneiden – und die Zellen so dauerhaft zu heilen (Nat. Biotechnol. 344 (34): 401-09). An Brec1 hängten die Molekularbiologinnen und Molekularbiologen die Zinkfingerdomäne des EGR1-Transkriptionsfaktors Zif268. „Die Wahl fiel auf diese beiden Proteine, weil sie recht klein sind. So konnten wir sie später leichter zu ihrem Zielort bringen“, erläutert Mukhametzyanova.

Die DNA-Bindedomäne von Zif268 verbanden die Dresdner über einen Linker zunächst entweder mit dem N- oder C-Terminus von Brec1. Um die optimale Kombination von Linker-Länge und Abstand zwischen den Bindemotiven auf der Ziel-DNA zu finden, erstellten die Forschenden je eine Bibliothek des Fusionsproteins und der Ziel-DNA. Lagen in diesen die Zielsequenzen von Brec1 sowie Zif268 fünf Basenpaare auseinander, erhöhte sich die Rekombinase-Aktivität des Fusionsproteins drastisch gegenüber dem Wildtyp. „Wir vermuten“, so Mukhametzyanova, „dass Brec1-Zif268 aktiver ist, weil es neben den 34 Basenpaaren des loxBTR-Motivs zusätzlich auch die neun Basenpaare des Zif268-Motivs bindet. Vielleicht findet das Enzym die Zielsequenz dadurch schneller, oder es bleibt länger an der DNA und kann seinen Job effizienter ausüben.“ Eine wichtige Erkenntnis, die aber noch kein Beweis für eine „umgeleitete“ Rekombinase war – auch das loxBTR-Motiv allein reichte für das Fusionsprotein als Erkennungssequenz.

Buchholz‘ Gruppe testete daher, ob sie die Zif268-Domäne auch in andere Tyrosin-Rekombinasen integrieren konnte. Dafür griff sie auf die sogenannte Pentapeptid-Scanning-Mutagenese zurück. „Bei dieser Methode wird die Sequenz eines fünf Aminosäuren langen Peptids sukzessive in jede Position der Rekombinase-Sequenz integriert. Damit können wir Stellen identifizieren, die kleine Insertionen tolerieren“, fasst Buchholz die Technik zusammen. Die Forschenden wählten mit dem Verfahren eine nahe am C-Terminus gelegene Position zwischen den Aminosäuren 278 und 279. „Diese Stelle befindet sich auf der Oberfläche des Enzyms. Anhand von Kristallstrukturen konnten wir abschätzen, dass diese Position wahrscheinlich nahe genug am DNA-Bindemotiv liegt, um eine Interaktion zu ermöglichen“, ergänzt der Molekularbiologe.

War alles umsonst?

Nachdem die Dresdner die Zinkfingerdomäne von Zif268 an der identifizierten Stelle in Brec1 eingefügt hatten, waren sie von dem Ergebnis zunächst enttäuscht – die Insertion hinterließ eine Brec1-Zif268-Rekombinase, die mit der Zielsequenz loxBTR nichts anfangen konnte und keine Aktivität zeigte. „Wir hatten zunächst die Befürchtung, dass unser Ansatz gar nicht funktioniert“, erinnert sich Mukhametzyanova. Zu ihrer Überraschung stellten die Forschenden jedoch fest, dass das Enzym seine Aktivität wieder erlangte, wenn wenige Basenpaare vor loxBTR ein Zinkfinger-Motiv in der richtigen Orientierung vorhanden war. „Wir gehen davon aus, dass die eingefügte Zinkfingerdomäne die Rekombinase an der Bildung von Tetrameren hindert, solange sie nicht an ihre Ziel-DNA gebunden hat. Die Tetramere sind jedoch nötig, damit das Enzym arbeiten kann“, erklärt Mukhametzyanova. Dies legen auch Strukturvorhersagen mit dem Programm AlphaFold nahe. Eine eindeutige Aussage könne man aber nur mit einer Kristallstruktur des Fusionsproteins treffen. Die Forschenden integrierten Zif268 an der gleichen Stelle auch in andere Cre-Typ-Rekombinasen – mit demselben Ergebnis. Auch aus der Nicht-Cre Rekombinase Vika entstand ein konditionell aktivierbares Enzym, wenn das Team die Zinkfingerdomäne an einer äquivalenten Stelle einbaute.

Flexible Rekombinase mit ...

Die von der Gruppe kreierten Rekombinasen benötigten also zwei Bindemotive, um zu ihrem Zielort zu finden. Es gab aber noch ein Problem: Die Spezifität der Rekombinasen für ihre Zielmotive war zu hoch. Ein potenzielles Rekombinations-Target müsste von der exakten lox-Sequenz flankiert werden, die das jeweilige Enzym erkennt. Das war natürlich nicht im Sinne des universellen Ansatzes, der den Dresdnern vorschwebte. Zum Glück erinnerten sie sich jedoch an Versuche mit einer vermeintlich fehlgeschlagenen Rekombinase, die in einer Schublade des Freezers schlummerte. „Vor einiger Zeit hatten wir die Rekombinase RecFlex entwickelt, die unspezifisch an ihre Zielsequenz bindet. Dieser scheinbare Nachteil ist für unseren Ansatz jetzt ein großer Vorteil“, sagt Buchholz.

RecFlex erkannte in Tests fünf unterschiedliche lox-ähnliche Motive, die sich pro Halbseite um je sechs bis neun Basenpaare unterschieden. Aufgrund der niedrigen Sequenzhomologie von nur 31 bis 54 Prozent könnte RecFlex tausende unterschiedliche Abschnitte im Genom rekombinieren – darunter auch den MECP2-Locus, ein klinisch relevantes Target. Wird das auf dem X-Chromosom liegende MECP2-Gen dupliziert, entwickelt sich das sogenannte MECP2-Duplikations-Syndrom, das neben organischen Fehlentwicklungen auch zu einer schweren mentalen Retardierung führt.

„Die Idee ist, diverse unspezifische Rekombinasen zu erstellen, die zusammen so gut wie alle Regionen des Genoms abdecken können“, führt Mukhametzyanova aus. In Verbindung mit passenden Zinkfinger- oder anderen DNA-Bindedomänen ließen sich so eine Vielzahl medizinisch relevanter Gensequenzen adressieren.

... programmiertem Zinkfinger

Um die Rekombinasen gezielt dorthin zu dirigieren, muss auch die Zinkfingerdomäne an das jeweilige Zielgen angepasst werden. „Bis vor etwa zehn Jahren gab es große Fortschritte, solche Domänen zu designen und vorherzusagen. Als aber die TALENs (Transcription Activator-like Effector Nucleases) aufkamen, schwand das Interesse an den Zinkfingern“, erinnert sich Buchholz. Die bestehenden Tools wurden nicht mehr weiterverfolgt und blieben unvollständig.

Die Forschenden konstruierten daher zunächst Zinkfingerdomänen gegen eine anvisierte Zielregion, die sie mit der von Cre abgeleiteten Rekombinase D7 fusionierten. „Die designten Domänen waren in der Regel weniger aktiv als das natürlich vorkommende Zif268. Also wählten wir für die Optimierung eine Methode, die wir sehr gut beherrschen: die gerichtete Evolution”, berichtet der Rekombinase-Spezialist. Neben einigen häufig beobachteten Mutationen fiel der Mannschaft von Buchholz vor allem eine Glycin-zu-Arginin-Substitution in der rechten Linker-Sequenz zwischen der Rekombinase und der Zinkfingerdomäne auf. Als sie diese Mutation in Brec1-Zif268 einführten, erhöhte sich dessen Rekombinations-Effizienz um das Zweieinhalbfache.

Damit hatten die Dresdner Rekombinase-Spezialisten eine neue Strategie gefunden, mit der sich Designer-Rekombinasen für nahezu beliebige Abschnitte des Genoms herstellen lassen. Da die veränderten Enzyme relativ klein sind, kann man sie vermutlich auch für Rekombinationen im Menschen einsetzen. Einer möglichen ethischen Debatte, die hierdurch ausgelöst werden könnte, sieht Buchholz gelassen entgegen. „Es gibt ja bereits zugelassene gentherapeutische Verfahren für Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie, die auf CRISPR-Cas basieren. Es passiert also schon.“

Sobald offene Fragen, etwa zur allgemeinen Sicherheit und Applikation der Rekombinasen geklärt seien, könne das Verfahren die Medizin revolutionieren, meint Buchholz. „Es gibt viele seltene genetische Erkrankungen, die zusammengenommen jedoch viele Menschen betreffen. Dafür wären unsere Designer-Rekombinasen gut geeignet. Aber auch andere häufigere Erkrankungen, wie Krebs oder Bluthochdruck, haben genetische Komponenten, die so behandelt werden könnten.“

Sollten sich die Vorteile der Zinkfinger-Rekombinasen tatsächlich auch in klinischen Versuchen bestätigen, könnten sie für die Medizin ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.