Editorial

Neue Deko fürs Epigenom

Epigenetisches Editing

Andrea Pitzschke


Mit CRISPR/Cas9 und Co. lässt sich nicht nur das Genom, sondern auch das Epigenom auf einfache Weise editieren.

Chromatin ist das Verpackungsmaterial, mit dem das Genom in Chromosomen verpackt wird. Es besteht aus DNA, die sich um Histonproteine windet, sowie weiteren DNA-affinen Proteinen. Letztere variieren je nach Gewebetyp und physiologischem Zustand. Entsprechend dreht sich die epigenetische Forschung primär um DNA und Histone, sowie deren Wechselwirkungen.

Das Grundgerüst beider Molekültypen enthält diverse kovalent gebundene Reste. In DNA kann Cytosin als (Hydroxy-)Methyl-, Carboxyl- oder Formyl-Cytosin vorliegen.

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Die Dekorationsmuster von Histonen sind noch vielfältiger. Sie bestehen vor allem aus Lysin, Arginin, Serin, Threonin und Tyrosin. Auf die freien OH-Gruppen dieser Aminosäuren haben es insbesondere Kinasen abgesehen.

Die Enzyme (Methyltransferasen, Kinasen, Acetylasen etc.), die diese kovalenten Modifikationen an der DNA und den Histonen bewerkstelligen, liefern die Vorlage für potenzielle Effektordomänen des epigenetischen Editings (Epigenom-Editing), die Epigenetiker als EpiEffektoren bezeichnen. In Frage kommen fünfzehn verschiedene Typen Chromatin-modifizierender Enzyme.

Ziel des epigenetischen Editings ist es, Chromatin an klar definierten Positionen gezielt zu verändern, dabei jedoch das DNA-Grundgerüst unberührt zu lassen. Hierzu muss der „Tatort“ zum einen klar definiert sein, zum anderen muss ihn das entsprechende Enzym, beziehungsweise der EpiEffektor, finden und erkennen. Dies lässt sich mit drei Methoden bewerkstelligen, die allesamt auf programmierbare DNA-Erkennungsdomänen setzen.

Der erste Durchbruch in diese Richtung kam vor fünfzehn Jahren mit Zinkfinger-Proteinen (ZFPs). ZFPs sind DNA-bindende Enzyme, deren unterschiedlich geriffelte Zinkfinger kurze (3bp) DNA-Motive spezifisch greifen. Clevere Molekularbiologen ermittelten den Code, mit dem die ZFPs die DNA erkennen. Anschließend frisierten sie die ZFPs so, dass die Aminosäuren an den relevanten Posi­tionen genau zum anvisierten Abschnitt der Zielsequenz passen. Das ZFP krallt sich an der gewünschten Stelle im Genom fest. Hängt an seinem Ende eine Nuklease als Fusionspartner, so schneidet diese die Sequenz beim klassischen Genom Editing an dieser spezifischen Stelle.

2009 kamen zu den ZFPs Transcription Activator-Like Effectors (TALEs) hinzu, die mit ihren repetitiven 34-Aminosäure-Abschnitten spezifische DNA-Motive erkennen. Trotz sequenzspezifischer Bindung schneidet die fusionierte Endonuklease jedoch relativ unspezifisch.

Noch einfacher funktioniert das Ganze mit dem CRISPR/Cas9-System. In eukaryotischen Zellen nutzt man eine guide-RNA (gRNA) als Ortungssystem, das Cas9 zur Zielsequenz führt. Die zelleigenen Reparatursysteme verschließen anschließend die von Cas9 verursachten DNA-Wunden, wodurch es wahlweise zum Einbau, Rausschmiss oder Austausch nutzerdefinierter Sequenzen kommt.

Epigenetiker verwenden diese drei Systeme zunehmend auch für das Epigenom-Editing. Den Part der Nuklease übernimmt hierbei ein Chromatin-modifizierendes Enzym (EpiEffektor). Für das Epigenom-Editing via ZFP oder TALEs bedeutet dies, dass die maßgeschneiderte DNA-Bindedomäne mit dem gewünschten Effektor, etwa einer DNA-Methyltransferase, fusioniert wird.

Dekorieren statt austauschen

Beim Epigenom-Editing mit CRISPR/Cas9 dirigiert die guide-RNA (gRNA) den EpiEffektor an die richtige Position. Sie ist komplementär zur Zielsequenz und dockt an dieser an. Anders als beim Genom-Editing will der Epigenetiker aber kein DNA-Stück eingefügen, entfernen oder ersetzen, sein Ziel ist es, eine chemische Gruppe an ein oder mehrere Nukleotide anzufügen. Die Sequenz bleibt unverändert, nur hie und da wird an einer ausgesuchten Position ein DNA-Buchstabe dekoriert. Analog lässt sich auch eine natürlich vorkommende Modifikation, zum Beispiel eine Methylgruppe, aus einer Zielsequenz entfernen. In diesem Fall würde man eine Demethylase als EpiEffektor einsetzen.

Ohne Cas9 als Vermittler sind EpiEffektoren jeoch ziemlich hilflos. Wie aber lässt sich verhindern, dass die Nuklease Cas9 die DNA schneidet? Indem man die Schere vorher beschädigt! Das Epigenom-Editing mit CRISPR/Cas9 nutzt eine katalytisch inaktive Cas9-Variante, die das Chromatin-modifizierende Enzym (EpiEffektor) huckepack nimmt und an die gRNA übergibt. Diese führt den EpiEffektor schließlich zum gewünschten Abschnitt des Genoms.

Dieses Prinzip funktioniert auch bei der Modifikation von Histonproteinen: Hierzu koppelt man eine Kinase, Phosphatase, (De-)Acetyltransferase oder ein weiteres Histon-modifizierendes Enzym an die inaktive Cas9-Variante. Wie in jeder Partnerschaft brauchen auch Cas9 und das EpiEffektor-Enzym etwas Freiraum. Ein zwischen die Kopplung gebautes Linker-Segment verschafft die nötige Flexibilität. Da außerhalb des Zellkerns eine Partnerschaft ziemlich unfruchtbar wäre, trägt das Fusionsprotein zusätzliche Kernlokalisationssignale (NLS).

Epigenetiker finden inzwischen viele Online-Werkzeuge, die das Design der ­gRNAs übernehmen. Diese funktionieren ganz ähnlich wie die Algorithmen für das PCR-Primer-Design: Nach Angabe der Zielgegend und den bevorzugten Eigenschaften schlägt das Programm dem Nutzer geeignete gRNA-Sequenzen vor. Wer vorab einen Off-Target-Filter definiert, erhöht die Spezifität der Suche.

Guide-RNAs sind circa zwanzig Nukleotide lang. Einerseits verhindert dies ein unspezifisches Werkeln der EpiEffektoren abseits der Zielregion, andererseits grenzt es den Aktionsraum dieser Proteine manchmal ungewollt ein. Eine Lösung dieses ­Dilemmas fand die Gruppe der kroatischen Epigenetikerin Vlatka Zoldos von der Universität Zagreb. Der Gruppe gelang, es mittels CRISPR/Cas9 und hintereinandergeschalteten gRNAs eine Promoterregion großflächig zu methylieren. Die Genexpression wurde hierdurch stärker gedrosselt, als dies mit nur einer ­gRNA möglich wäre (NAR 44(12): 5615-28).

Kinderkrankheiten

So vielversprechend die Zukunft des Epigenom-Editings ist, noch steckt die Technik in den Kinderschuhen. Jede der drei Strategien hat auch Schwachpunkte:

CRISPR/Cas9 und TALEs haben einen bakteriellen Ursprung, was Immunantworten auslösen kann – in klinischen Anwendungen wäre dies fatal. TALEs- und CRISPR/Cas9-basierte Komplexe sind relativ klobig. Entsprechend herausfordernd ist es, sie effizient in Zellen einzuschleusen. Hier punkten ZFPs mit ihrer Kompaktheit. Ein weiteres Handicap von TALEs ist ihre Sensitivität gegenüber methylierten Cytosinen in CG-Dinukleotiden.

Trotz dieser Nachteile ist das epigenetische Editing mittels CRISPR/Cas und Co. sowohl für die Wirkstoffentwicklung, als auch die Grundlagenforschung attraktiv.

Viele Krankheiten resultieren letztlich aus einer fehlgesteuerten Genaktivität. Die gegenwärtigen therapeutischen Ansätze setzen meist auf RNA-Interferenz (RNAi), um unerwünschte Gene lahmzulegen. Aber auch Medikamente, die sich Chromatin-modifizierende Enzyme vorknöpfen, existieren bereits. Ein Beispiel ist der Histon-Deacetylase-Inhibitor „Resminostat” für die Tumortherapie, der von der Martinsrieder Firma 4SC entwickelt wurde.

Nebeneffekte sind bei solchen Medikamenten fast vorprogrammiert, denn schließlich weiß der Inhibitor nicht, wo er auf dem Genom sein Ziel-Enzym (Chromatin-modifizierendes Enzym) hemmen soll und wo besser nicht. Dass ein komplettes Ausschalten von Histon-Deacetylasen „ungesund“ wäre, liegt auf der Hand. Mit Epigenom-Editing ließen sich unspezifische (Neben-)Effekte elegant umgehen.

Aktivieren oder Inaktivieren

Im Unterschied zu RNAi lassen sich Gene beim Epigenom-Editing sowohl aktivieren als auch inaktivieren. Gleichzeitig umgeht die Technik ein weiteres Problem der RNAi: Da diese erst nach der Transkription eingreift, müssen mitunter Millionen Kopien eines Zielmoleküls aufgespürt und zerstört werden. Ein Problem ist deshalb die Durchlässigkeit (Leakiness) der Methode die hie und da ein Zielmolekül durchschlüpfen lässt. Hierdurch variiert das Ausmaß der Expressionsunterdrückung.

Epigenom-Editing packt das Übel hingegen an der Wurzel und lässt die Transkripte gar nicht erst entstehen. Vom Zielmolekül existieren in diesem Fall, etwa bei diploiden Organismen, nur zwei Kopien. Mittels Epigenom-Editing kann man den Promotor in beiden Kopien derart dekorieren, dass Transkriptionsfaktoren nicht mehr binden können. Dann herrscht nicht nur Ruhe wie bei der RNAi, sondern totale Funkstille.

Epigenom-Editing-Pioniere, wie Albert Jeltsch von der Uni Stuttgart, sehen in der neuen Technologie ein hohes Potenzial für Grundlagenforschung, Zell-Umprogrammierung und Molekularmedizin. Beispielsweise ließen sich Gene stilllegen, um aus den resultierenden Phänotypen auf deren Funktion schließen zu können.

Wertvoll ist die Technologie auch für Chromatin-Biologen, etwa zur Untersuchung der Wechselwirkung von Histonen mit methylierter DNA. Zum Umprogrammieren von Zellen wären ausgeklügelte Kombinationen von Editierungen nötig, etwa an DNA und Histonen und/oder in mehreren Genomabschnitten, die das ­Genexpressionsmuster grundlegend verändern.

Tatsächlich ist diese kombinierte Manipulation einem italienischen Forscherteam um Angelo Lombardo vom San Raffaele Telethon Institute for Gene Therapy in Mailand bereits gelungen (Cell 167, 219-32). In ihrer Studie beschreiben Lombardo und seine Kollegen, eine Strategie zum gezielten Ausschalten mehrerer Gene. Sie nutzen dabei eine Kombination aus (reprimierender) Histon-Modifizierung und de novo DNA-Methylierung in T-Lymphozyten.

Epigenetik trifft Optogenetik

Schrillen bei derlei Manipulationen nicht die Alarmglocken? Haben molekularmedizinische Eingriffe ins Epigenom nicht unabsehbare, weitreichende Folgen? Beurteilen können dies nur die Experten nach intensiver Forschung an Zellkulturen und Modellorganismen. Fakt ist, dass bei allen Säugetieren eine strikte Trennung zwischen Körper- und Keimzellen herrscht. Erstere reagieren auf Umweltreize, letztere nicht. Bei Keimzellen verschwinden fast alle epigenetischen Marker während der frühen Embryonalentwicklung. Die Nachkommenschaft eines Patienten würde sich also nicht an die Therapie erinnern.

Albert Jeltsch und sein Mitarbeiter Goran Kungulovski unterbreiteten in ihrem jüngsten Review zum epigenetischen Editing einen einleuchtenden Vorschlag, mit dem sich die Wirkung der epigenetischen Manipulation lokal eingrenzen lässt (Trends Genet 32 (2), 101-13).

Konstruiert man die DNA-Erkennungsdomäne (also ZFPs, TALEs oder Nuklease-inaktives Cas9) und die EpiEffektor-Domäne nicht als Fusionsprotein, sondern als separate Komponenten, und stattet diese mit Licht-Sensoren aus, so finden beide Komponenten erst unter Licht zueinander. Die epigenetische Veränderung tritt somit nur in den beleuchteten Regionen oder Geweben ein. Zellen, die im Dunkeln bleiben, bekommen von der Chromatinveränderung in ihrer Nachbarschaft nichts mit.

Für dieses ausgeklügelte System sind optogenetische Miniaturimplantate nötig. Das diese bereits als drahtlose Varianten existieren, sollte der optogenetischen Regulation des epigenetischen Editings jedoch nichts im Wege stehen.






Letzte Änderungen: 06.02.2017