Editorial

Bombardieren oder Infiltrieren ?

Pflanzliche Expressionssysteme

Andrea Pitzschke


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Aus Weihnachtsternen lassen sich sehr leicht Protoplasten isolieren, die als ­Produktionsstätte für rekombinante Proteine dienen. Foto: Landwirtschaftskammer NRW

Weihnachsstern und Kapuzinerkresse sind nicht nur hübsch anzusehen. Sie sind auch interessante Expressionsysteme.

Man sieht sie aus Balkonkästen unbekümmert baumeln, schneckenabschreckend auf Beeten sprießen. Wohlplatziert im Salat setzt sie mit ihren intensiv gelben und orangen Blüten schmackhaft-farbige Akzente. Geranie? Ringelblume? Falsch! Die Rede ist von Tropaolum majus, der Kapuzinerkresse. Die Saison hat begonnen, und jedes Jahr weckt sie bei mir freudige Erinnerungen an unverhofft spannende Labortage. Ganz ähnliche Gefühle kommen bei mir im Advent auf, der Hochsaison von Poinsettia pulccherima (Weihnachtsstern). Freilich gibt es (noch) schönere Pflanzen, aber aus molekularbiologischer Sicht sind diese beiden besonders schön, und vor allem nützlich.

Um die Funktion eines oder mehrerer Pflanzenproteine zu verstehen, sie in der Zelle zu lokalisieren und mögliche Interaktionspartner aufzuspüren, benötigt man rekombinante Expressionssysteme. Für die Produktion im Großmaßstab haben sich bakterielle Expressionssysteme bewährt: sie sind robust, kostengünstig und ethisch unbedenklich. Generell eignen sich diese auch zur Expression pflanzlicher Proteine und für Interaktionsstudien. Nur ist in vitro eben nicht in vivo. Das Wunschprotein (Protein-X) kann ein ganz anderes Molekulargewicht aufweisen, je nachdem ob es in Bakterien oder Pflanzen exprimiert wurde. Nicht selten ist die „richtige“ post-translationale Modifikation wichtig für Faltung und Funktion.

Hefe, als eukaryotischer Organismus, wäre ein Kompromiss, hat aber auch so manch potenziell verfälschende Tücken. Daher setzt man lieber auf stabile sowie transiente pflanzliche Expressionssysteme. Aus ersteren entstehen stabile transgene Pflanzen/Zellkulturen, die das Wunschgen fix in ihr Genom aufnehmen, es also an ihre Nachkömmlinge weitergeben können. Solange kein „Gene silencing“ einsetzt oder Protein-X lethal und/oder entwicklungshemmend wirkt, sollte es in gewohnter Qualität und Quantität produziert werden. Verfolgen lässt sich das zum Beispiel mittels Mikroskopie oder Immunoblotting.

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Die stabile Transformation ist kosten- und zeitaufwändig. Oft genügt es jedoch, die Lokalisationen und Interaktionen des Wunschproteins über mehrere Tage zu beobachten und dieses nur transient in den Pflanzen zu exprimieren.

In beiden Fällen sind E. coli und gängige Klonierungstechniken nötig, um zunächst die erforderlichen DNA-Konstrukte zu basteln. Die Bauanleitung ist einfach und besteht aus Promoter, kodierender Sequenz des Wunschgens, visualisierbarem „Tag“, Terminator sowie einem negativen oder positiven ­Selektionsmarker.

Konstrukt fertig? Dann ab damit in die Pflanzenzelle. Wie? Man kann Goldpartikel mit dem DNA-Konstrukt beladen und damit Pflanzengewebe „beschießen“. Diese sogenannte „Bombardment“-­Technik ist nicht sonderlich effizient; nur hie und da wird eine Zelle die DNA tatsächlich aufnehmen. Natürlich haben routinierte Profis höhere Erfolgsquoten. Aus erfolgreich bombardierten Zellen lassen sich transgene Gewebe und letztendlich Pflanzen generieren. Auch kann man das bombardierte Gewebe direkt untersuchen.

Verglichen mit Verfechtern des „Bombardments“ kommen friedliebende „Grüne Daumen“ mit weniger Aufwand und kostengünstiger davon. Sie schleusen Fremd-DNA mittels Agrobacterium tumefaciens in Pflanzenzellen ein oder setzen auf die Transformation von Protoplasten.

Agrobakterien sind die einzige Spezies, die einen „Inter-Kingdom Gentransfer“, also die Übertragung genetischen Materials auf nicht-verwandte Organismen, bewerkstelligen. Normalerweise dringen diese bodensässigen Bakterien in verwundete Pflanzengewebe ein, programmieren den Wirtsstoffwechsel nach ihrem Geschmack um und verursachen Tumor-artige Gebilde. Das beeinträchtigt die pflanzliche Gesundheit und ganze Obstplantagen können dadurch „draufgehen“.

Beachtlich bei dieser Pflanzen-Pathogen-Interaktion ist das evolutionäre Wettrüsten. Faszinierend, welche ausgeklügelten Strategien beide Beteiligten aufbringen, um den feindlichen Partner abzuschrecken, auszunützen, zu kopieren, zu täuschen oder anderweitig zu manipulieren. Pflanzenwissenschaftler haben den Vorteil dieses Tänzchens längst erkannt und die Agrobakterien ihrerseits manipuliert. Sie haben sie „entwaffnet“, die Agrobakterien verursachen also keine Tumore, schleusen aber Nutzer-definierte Fremd-DNA in Pflanzen ein.

Hierzu verfrachtet man das DNA-Konstrukt zum Beispiel mittels Elektroporation in A. tumefaciens und kultiviert diese bei wohligen 28 °C. Mit einem Hauch Acetosyringon lassen sich die Bakterien so richtig „scharf“ machen. Diese Substanz ähnelt den Verbindungen, die verwundete Pflanzen normalerweise – ungewollt – als bakterielle Lockstoffe abgeben. Für Agros ist das ein Signal: „Hier gibt´s was zu holen, hier geht´s rein!“

Agrobakterien eignen sich prinzipiell sowohl für stabile als auch transiente Transformationen. Die Bedingungen variieren aber je nach Pflanzenspezies, und leider gibt es da keine Regeln oder erkennbare Schemata. Sprich, für jede Pflanzenspezies muss der Experimentator zum Beispiel die optimale Zelldichte, geeignete Organ(e)/Gewebe, die Inkubationsdauer etc., empirisch ermitteln.

Für die Modellpflanze Arabidopsis thaliana ist die stabile Transformation mit der Floral-Dip-Strategie bestens etabliert. Seit ihrer erstmaligen Beschreibung im Jahr 1998 hat sich an ihr wenig geändert: Pflanzen, deren Blüten sich gerade öffnen, taucht man kopfüber für ein bis zwei Minuten in eine Suspension Acetosyringon-provozierter Bakterien. Das war´s. Bis zur Samenreife sollten die Bakterien den DNA-Transfer ins pflanzliche Genom in dem einen oder anderen Samen geschafft haben. Dank Selektionsmarker lassen sich diese transgenen Samen aufspüren, anbauen und vermehren.

Arabidopsis ist unkompliziert bei stabilen, nicht aber bei transienten Transformationen. Zwei Monate warten, um eine Lokalisation oder hypothetische Proteininteraktion „mal eben“ zu testen? Wer dies unbedingt in Arabidopsis machen will, nimmt Protoplasten (siehe unten). Wer meint, eine andere Pflanzenspezies tut´s auch, nutzt Blattinfiltrationen. Die oben beschriebenen, Acetonsyringon-­provozierten Bakterien eignen sich nicht nur zum „Dippen“, sondern auch als Infusionslösung.

Nicht nur zum Dippen geeignet

Der Patient heißt in diesem Fall meist Nicotiana benthamiana oder Nicotiana tabaccum. Und tatsächlich wird mit einer ganz normalen ein bis zwei Milliliter-Spritze „infiltriert“: Blätter zart anritzen und dann die Spritze ansetzen. Durch die Spaltöffnungen auf der Blattunterseite gelangen die Bakterien ins Blattgewebe, wo sie sich großflächig ausbreiten. Erkennbar ist dies an der vorübergehenden Dunkelgrün-Verfärbung im entsprechenden Blattabschnitt. Vorsicht: Wer zu rabiat ist, spritzt hindurch; wer mit der zweiten Hand an der ­Blattoberseite zu viel Gegendruck ausübt, dem schießt die Bakteriensuppe ins Gesicht. Eklig, aber ungefährlich (Schutzbrille!). Nach circa vier Tagen produziert das infiltrierte Pflanzengewebe das gewünschte Protein.

Da die Fremd-DNA kaum den Weg ins Genom findet, ist die Expression transient und klingt nach etwa zwei bis drei Wochen ab. Bis dahin sollten aber Mikroskopie, Immunoblotting oder ähnliche Tests abgeschlossen sein. Prophylaktisch kann man auch die gleichen Transformationen an einer anderen Pflanze, gestaffelt in wöchentlichem Abstand, wiederholen. So ist für jede spontane Idee das nötige Material immer parat. Das Schöne an der Agroinfiltration ist, dass sie die Co-Transformation beliebig vieler Konstrukte erlaubt. In diesem Fall werden einfach die relevanten Bakterien-Suspensionen vor dem Infiltrieren gemischt. Erfahrungsgemäß ist die Transformationseffizienz in Nicotiana hoch (70-90 %). Sind Zellen transformiert, so enthalten sie meist alle co-applizierten Konstrukte.

Auch die Protoplasten-Transformation gestattet das gleichzeitige Einschleusen mehrerer Konstrukte. Bei dieser ist jedoch eine hohe DNA-Konzentration pro Konstrukt erforderlich, die bei der Co-Applikation mehrerer Konstrukte automatisch sinkt. Protoplasten sind Zellen, deren ­Zellwände enzymatisch entfernt wurden. Für Transformationsexperimente eignet sich junges Blattgewebe. Um den Kontakt Zellwand-spaltender Enzyme zu den ­Zellen zu maximieren und so möglichst viele ­Zellen in kurzer Zeit aus dem Gewebe zu lösen, kann man die Blätter in zwei bis drei Millimeter dicke Streifen schneiden.

Eine effizientere Alternative ist die „Tape Sandwich“-Methode, die Wu et al., 2009 erstmals bei Arabidopsis einsetzten (Plant Methods 5: 16). Hierbei wird das Blatt mittels zweier Klebebänder (je eines auf der Ober- und Unterseite) gespalten und in der Enzymlösung geschwenkt. Nach einigen Stunden sind die herausgelösten Zellwand-freien, und somit kugelrunden Protoplasten erkennbar. Diese fängt man mittels Pipette vorsichtig auf, zentrifugiert sie sanft und wäscht sie anschließend. In Gegenwart von Polyethylenglykol „schlucken“ die Protoplasten die beigefügte DNA. Im Erfolgsfall ist die Expression nach circa zehn Stunden zu erkennen.

Und was hat das alles mit Kapuzinerkresse und Weihnachtsstern zu tun? Diese beiden decken ein paar Nischen im Transformations-Business ab. Kapuzinerkresse eignet sich bestens zur Agroinfiltration (Pitzschke, PLoS One 8(9): e73355) Als Brassicaceae-Vertreter ist sie – anders als Nicotiana – nahe verwandt mit Arabidopsis. Sie gedeiht im Labor, im Büro, in jeglicher Erde und besticht durch hohe Transformationseffizienz – weitgehend unabhängig von Lichtintensität und Temperaturschwankungen.

Die Blätter von Weihnachtsstern wiederum sind eine sehr gute Quelle leicht-isolierbarer robuster Protoplasten. Ihre Transformationseffizienz ist durchgehend hoch. Die Expression ist schon nach wenigen Stunden erkennbar und hält mehrere Tage an (Pitzschke & Persak, Plant Methods 8(1): 14). Ein klarer Vorteil für UV-Mikroskop-basierende Analysen ist die gänzliche Abwesenheit von autofluoreszierenden Chloroplasten. Und noch ein Schmankerl für stabile Floral-Dip-Fans: In Leinsamen erreicht man eine beeindruckende Transformationseffizienz von 50 bis 60 Prozent (Bastaki & Cullis, J Vis Exp 94).

Viele Vorteile

Die Vorteile pflanzlicher Expressionssysteme für die Grundlagenforschung liegen auf der Hand und finden sich vor allem in Lokalisations-, Interaktions- sowie Promoter-Reporter-Gen-Studien. Was aber kann die Außenwelt mit diesen Werkzeugen anfangen? Rekombinante Proteine aus Pflanzen haben für die Industrie reichlich Potenzial. Stichwort „Pharming“ – die kostengünstige Herstellung rekombinanter Arzneistoffe in Pflanzen.

Zudem birgt die konventionelle Fermenterproduktion rekombinanter Proteine aus E. coli das Risiko bakterieller Endotoxine. In tierischen Zellen produzierte rekombinante Arzneistoffe können Prionen, Erreger der spongiformen Enzephalopathie, enthalten. Bei der Pflanzen-basierten Herstellung ist der limitierende Faktor unter Umständen das Glykosilierungsmuster, das erheblich von dem tierischer Systeme abweichen kann. Das kann aber auch ein Vorteil sein. In Tabak hergestellte HIV-Antikörper sind wirksamer als ihre Pendants aus tierischen Zellen. Nicht umsonst ist ihre Produktion aus Pflanzen bereits in vollem Gang (Sack et al., Plant Biotechnol J 13(8): 1094-1105).

Transformierte Pflanzen sind schon heute als „Produktionsstätten“ eine wahre Goldmine – mit besten Aussichten für die Zukunft.






Letzte Änderungen: 14.09.2016