Editorial

Durchstarten in der Life-Science-Industrie (14)
Wie überzeuge ich im Assessment-Center für Trainee-Programme?

Morna Gruber, Laborjournal 9/2023


(08.09.2023) Teil 2: Die Business-Case-Übung

Trainee-Programme dienen der systematischen Ausbildung zukünftiger Fach- und Führungskräfte. Pharmaunternehmen nutzen Assessment-Center als Auswahlprozess für die raren Trainee-Positionen. Will man im Assessment-Center überzeugen, muss man gut vorbereitet sein. Im ersten Teil unserer Assessment-Center-Reihe haben wir uns mit den Themen Erstinterview und Selbstpräsentation beschäftigt. Heute geht es um die Business-Case-Übung.

Was ist überhaupt ein Business Case?

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass man den Business Case nicht mit dem Businessplan verwechseln darf. Die deutschen Begriffe sind Geschäftsplan für Businessplan und Fallstudie für Business Case. Der Businessplan stellt demnach eine umfassendere Analyse mit Bezug auf das gesamte Unternehmen dar, der Business Case hingegen ist eine Einzelfallstudie.

Schema der relevanten Parameter bei einer Business-Case-Übung
Illustr.: Hox Life Science

Ein Businessplan ist notwendig, wenn man ein Unternehmen gründen möchte. Er beschreibt die Geschäftsidee (das Produkt oder die Dienstleistung), die Vision und Mission des Unternehmens, die Unternehmensziele und die Strategien, die angewendet werden sollen, um diese Ziele zu erreichen. Darüber hinaus enthält er eine detaillierte Finanzplanung und die Auflistung des benötigten Investitionsvolumens. Der Businessplan ist nicht nur für die eigene Planung relevant, sondern vor allem auch notwendig, um Investoren zu überzeugen.

Ein Business Case hingegen konzentriert sich auf die Analyse eines konkreten Falles. Er dient dazu, eine fundierte Entscheidung über die Realisierbarkeit und Rentabilität eines bestimmten Projekts oder einer Investition zu treffen. Oft wird er von Unternehmen angewendet, um wichtige strategische Entscheidungen zu evaluieren und das Risiko von Fehlinvestitionen zu minimieren. Zentrale Werkzeuge sind dabei die Kosten-Nutzen-Analyse und die Risikoanalyse.

Warum ist die Business-Case-Übung Teil vieler Assessment-Center?

Business-Case-Übungen werden oft durchgeführt, um die Fähigkeiten eines Bewerbers in einem realistischen Geschäftskontext zu testen. Sie ermöglichen es dem Unternehmen, die Problemlösungskompetenzen, die Kommunikationsfähigkeiten und die Stressresistenz der Bewerber zu bewerten. Gerade in Assessment-Centern, bei denen die Teilnehmenden vorwiegend Universitätsabsolventen sind, wird überprüft, ob zusätzlich zu dem an der Universität erlernten Fachwissen auch schon betriebswirtschaftliches Wissen und eine unternehmerische Denkweise vorliegen. Wer sich parallel zum Studium schon in betriebswirtschaftlichen Themen fortgebildet hat, wird hier auf jeden Fall einen großen Vorteil haben. Bei der Fallstudien-Übung werden dann auch kritische Fragen an die vortragende Person gerichtet, und es wird überprüft, wie gut der Vortragende komplexe Sachverhalte präsentieren und fachlich beziehungsweise sachlich und gleichzeitig souverän seine Position verteidigen kann.

Ablauf der Business-Case-Übung

Es gibt verschiedene Arten, die Business-Case-Übung durchzuführen. Zwei häufige sind: als Einzelübung mit Vorbereitung vorab zu Hause sowie Vortrag mit anschließender Diskussion im Assessment-Center oder als Teamarbeit mit zunächst einer Vorbereitungsphase und anschließender Präsentationsphase im Assessment-Center selbst. Wird die Business-Case-Übung als Teamarbeit durchgeführt, steht das Team auch während der Vorbereitungsphase unter Beobachtung. Hierbei wird evaluiert, wie sich jeder Einzelne im Team verhält, wenn auch noch Druck von außen hinzukommt. Schließlich sind die Assessment-Teilnehmer in einer Konkurrenzsituation zueinander, müssen aber bei dieser Übung zusammenarbeiten.

Bevor wir uns die Variante der Einzelübung an einem konkreten Beispiel aus der Pharmabranche im Detail anschauen, möchte ich zunächst noch erläutern, wie ein Business Case in der Regel formal aufgebaut ist.

  • Fragestellung und Überblick
  • Projektbeschreibung
  • Marktanalyse
  • Kosten-Nutzen-Analyse
  • Risikobewertung
  • Projekt- bzw. Implementierungsplan
  • Fazit, Empfehlungen und Next Steps

Die hier beschriebene Form dient als Leitfaden und nicht als Musterlösung. Es ist erlaubt, weitere Aspekte aufzunehmen oder einzelne Teile auszulassen. Beispielsweise wird oft ein detaillierter Projektplan erst nach der Entscheidungsphase zur Projektdurchführung erstellt. Man entscheidet also immer für den konkreten Fall, welche Analysen in welcher Detailtiefe nötig sind, um eine strategische Entscheidung treffen zu können.

Business-Case-Übung als Einzelvortrag mit Vorbereitung vorab

Sie haben das Erstgespräch gemeistert und nun eine schriftliche Einladung zur Teilnahme am Assessment-Center bekommen. Zusammen mit der Einladung erhalten Sie folgende Nachricht:

„Wir möchten Sie bitten, unten stehende Aufgabe zu bearbeiten und in einem 15-minütigen Vortrag eine Entscheidungsvorlage zu präsentieren. Stellen Sie sich als Zielgruppe des Vortrages bitte Entscheidungsträger aus dem oberen Management vor. Bitte schließen Sie Ihren Vortrag mit einer klaren Entscheidungsempfehlung an das Management ab. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie sich im Anschluss an den Vortrag den kritischen Fragen Ihrer Zielgruppe stellen müssen.

Aufgabe: Die Lucky Pharm GmbH möchte im Zuge der zunehmenden Lieferkettenschwierigkeiten der letzten vier Jahre einen Teil ihrer Produktion wieder in Deutschland ansiedeln, um ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Dazu soll eine neue Anlage für die Bioprozessentwicklung und die Produktion hochwertiger Biopharmazeutika gebaut werden. Die Anlage soll sowohl für die Produktion der drei eigenen Biopharmazeutika mit je zwei Chargen pro Jahr verwendet werden wie auch im Rahmen der Lohnherstellung für Kundenaufträge mit unterschiedlichen Chargengrößen. In diesem Kontext muss die Entscheidung getroffen werden, ob Bioreaktoren aus Edelstahl oder Single-Use-Bioreaktoren zum Einsatz kommen sollen. Bitte erstellen Sie eine Entscheidungsvorlage für das Management.“

Nun geht es los mit der inhaltlichen Ausarbeitung, für die wir uns an dem oben beschriebenen Leitfaden orientieren. Im „echten Leben“ erstellt man für den Vortrag dann natürlich eine PowerPoint-Präsentation.

1. Fragestellung und Überblick:

Die Lucky Pharm GmbH hat beschlossen, ihre Lieferkettenschwierigkeiten durch den Neubau einer Produktionsanlage in Deutschland zu lösen. Der Produktionsschwerpunkt liegt auf der Herstellung von Biopharmazeutika – und somit muss die Entscheidung zwischen Edelstahl- oder Single-Use (Einweg)-Bioreaktoren getroffen werden. Da die EntscheiRe-Etablierung der Produktion in Deutschland bereits beschlossen ist, erübrigt sich im Rahmen der vorliegenden Fragestellung eine Marktanalyse. Der Fokus liegt vielmehr auf der Gegenüberstellung von Kosten-Nutzen-Analysen und Risikoanalysen bei der Etablierung der jeweiligen Anlagentypen.

2. Projektbeschreibung:

Bau einer neuen Produktionsanlage für Biopharmazeutika in Deutschland. Ziele der Lucky Pharm GmbH:

(i) Produktion der drei unternehmenseigenen Biopharmazeutika mit je zwei Chargen pro Jahr,

(ii) Produktion von weiteren Biopharmazeutika im Rahmen der Lohnherstellung für Kundenaufträge mit unterschiedlichen Chargengrößen.

3. Kosten-Nutzen-Analyse:

Edelstahl-Bioreaktoren und Single-Use-Bioreaktoren sind unterschiedliche Systeme, die für die Produktion von biopharmazeutischen Produkten verwendet werden. Folgende Parameter werden zum Vergleich in der Kosten-Nutzen-Analyse einbezogen:

(i) Investitions- und Instandhaltungskosten,

(ii) Performance,

(iii) Qualität der hergestellten Biopharmazeutika,

(iv) ökologische Nachhaltigkeit.

3.1. Edelstahl-Bioreaktoren:

(i) Kosten: Die Investitionskosten für Edelstahl-Bioreaktoren betragen rund 1 bis 2 Millionen Euro pro Reaktor. Da Edelstahl-Bioreaktoren aus robustem Edelstahl hergestellt werden, können sie über viele Jahre hinweg immer wieder verwendet werden. Wie schnell sich die Anlage amortisiert, hängt von der Auslastung ab. Edelstahl-Bioreaktoren müssen regelmäßig gereinigt und sterilisiert werden, um Kontaminationen zu vermeiden. Die Wartungs- und Betriebskosten durch Personal, Strom- und Wasserverbrauch können erheblich sein.

(ii) Performance: Edelstahl-Anlagen können große Mengen an Produkten produzieren und sind daher sehr kosteneffizient bei Hochvolumen-Aufträgen. Die Umschaltzeit beträgt durch die Reinigung und Wartung zwischen zwei Produktionsläufen drei Tage. Es besteht ein hoher Personalaufwand für Reinigung und Instandhaltung.

(iii) Qualität: Hohe Qualität der Produkte – allerdings besteht die Gefahr von Kreuzkontaminationen durch unsachgemäß durchgeführte Reinigung.

(iv) Ökologische Nachhaltigkeit: Edelstahl-Bioreaktoren sind langlebig und können für lange Zeit verwendet werden, was die Notwendigkeit einer ständig neuen Produktion von Reaktoren minimiert und somit Ressourcen schont. Allerdings entsteht ein hoher Energie- und Wasserverbrauch durch Reinigung und Instandhaltung.

3.2 Single-Use-Bioreaktoren:

(i) Kosten: Anschaffungskosten liegen zwischen 50.000 und 150.000 Euro pro Reaktor. Dazu kommen laufende Kosten im hohen vierstelligen oder niedrigen fünfstelligen Bereich für Einwegbeutel je nach Volumen des Beutels. Da die Einweg-Reaktoren aus Kunststoff bestehen und nach dem Produktionslauf entsorgt werden, entfallen Kosten für Reinigung und Instandhaltung, jedoch fallen wiederkehrende Kosten für den Kauf neuer Beutel an.

(ii) Performance: Das Einwegprinzip spart Zeit für Reinigung und Sterilisation, sodass die Umrüstzeit maximal einen Tag beträgt. Single-Use-Bioreaktoren bieten eine hohe Flexibilität, da sie leicht skalierbar und schnell einsetzbar sind. Dies kann bei Produktionen mit wechselnden Volumina oder verschiedenen Produkten von Vorteil sein.

(iii) Qualität: Hohe Qualität der Produkte ohne Gefahr von Kreuzkontaminationen.

(iv) Ökologische Nachhaltigkeit: Single-Use-Bioreaktoren bestehen aus Einwegmaterialien wie Kunststoffen, die auf fossilen Rohstoffen basieren. Die Produktion dieser Materialien und ihre Entsorgung sind eher nicht als ressourcenschonend zu betrachten. Andererseits fällt kein Wasser- und Energieverbrauch für die Reinigung an.

4. Risikoanalyse:

Eine Risikoanalyse für die Entscheidung zwischen Edelstahl- und Single-Use-Reaktoren beim Neubau einer Produktionsanlage für biopharmazeutische Arzneimittel umfasst mehrere Parameter:

(i) Technisches Risiko: Bei Edelstahl-Reaktoren besteht ein erhöhtes Risiko von Kontaminationen aufgrund der Wiederverwendung sowie der potenziell komplexen Reinigungs- und Validierungsprozesse. Im Gegensatz dazu bieten Single-Use-Reaktoren eine hohe Sicherheit vor Kontaminationen, da sie nach jedem Gebrauch entsorgt werden.

(ii) Kostenrisiko für Investitions- und Betriebskosten: Bei schwankender Kundenauftragslage stellen die Edelstahl-Reaktoren durch ihre hohen Investitions- und Fixkosten ein finanzielles Risiko dar, während für Single-Use-Reaktoren bei voller Auslastung das Risiko höherer Kosten für Einwegmaterialien und Entsorgung besteht.

(iii) Lieferanten- und Versorgungsrisiko: Single-Use-Reaktoren sind dauerhaft von der Nachlieferung der Einwegbeutel von Lieferanten abhängig, während Edelstahl-Reaktoren – einmal etabliert – höchstens im Fall von benötigten Ersatzteilen von Lieferanten abhängig sind.

(iv) Umweltrisiko: Bei Edelstahl-Reaktoren ist der Energie- und Wasserverbrauch für Reinigung und Validierung hoch. Für Single-Use-Reaktoren entsteht ein hoher Materialverbrauch an Kunststoffen inklusive der Problematik der Entsorgung von Kunststoffabfällen.

5. Empfehlung:

Auf Grundlage der Daten, die mir für die vorliegende Analyse zur Verfügung standen, lässt sich ableiten, dass sich die hohen Fixkosten von Edelstahl-Bioreaktoren betriebswirtschaftlich nur rechtfertigen lassen, wenn eine hohe Auslastung der Anlage mit großen Chargen gewährleistet werden kann. Single-Use-Bioreaktoren weisen deutlich geringere Investitions- und Fixkosten auf und bieten so mehr Flexibilität in der Lohnherstellung – erst recht, wenn die Auftragslage schwankt und wenn verschiedene Produkte in eher kleineren Mengen produziert werden. Weitere Kosteneinsparungen ergeben sich auch durch geringe Umschaltzeiten, weniger Personalaufwand und die Reduktion des Risikos für Kreuzkontaminationen. Allerdings besteht hier durch den Verbrauch an Einwegbeuteln eine Abhängigkeit von Lieferanten.

Für die Lucky Pharm GmbH könnte eine hybride Lösung optimal sein. Für die Produktion der stabil planbaren sechs Chargen eigener Produkte im Jahr könnten Edelstahl-Bioreaktoren eingesetzt werden, während Single-Use-Bioreaktoren für die Lohnherstellung je nach Auftragsaufkommen flexibel genutzt werden können. Dies bietet die Möglichkeit, Kapazitäten effizient zu managen und gleichzeitig das Risiko einer Unterbrechung der Lieferkette zu minimieren.

Da mir zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Fallstudie nicht alle abteilungsinternen Daten vorlagen, empfehle ich als nächsten Schritt, die vorliegende Analyse durch folgende Datensätze zu ergänzen:

(i) Berechnung der exakten Investitionskosten durch Einholen von Angeboten verschiedener Hersteller für die Edelstahl-Reaktoren, das Edelstahl-Gestell der Single-Use-Reaktor-Konstruktion und die Einwegbeutel;

(ii) Berechnung, ab welcher Auslastung sich eine Edelstahlanlage in welchem Zeitraum amortisiert;

(iii) Einholen der genauen Daten für Energie- und Wasserverbrauch für Reinigung und Validierung von den Edelstahl-Reaktor-Herstellern, Berechnung und Vergleich des genauen Personalaufwands und damit der Personalkosten für beide Systeme;

(iv) Vergleichsanalyse des CO2-Verbrauchs (Herstellung und unter Verwendung) beider Systeme durch Einholen von Nachhaltigkeitsdaten bei den Herstellern.

Im Anschluss an die Analyse mit den weiteren Daten wird sich eine eindeutige Empfehlung aussprechen lassen, ob für die Lucky Pharm GmbH Edelstahl-Reaktoren, Single-Use-Reaktoren oder eine Hybridlösung hinsichtlich der Parameter Kosteneffizienz, Performance, Qualität des Produktes und ökologische Nachhaltigkeit am sinnvollsten sind.

Take-Home-Message

Für die Business-Case-Übung ist es relevant zu zeigen, dass man fähig ist, eine unternehmerische Sichtweise einzunehmen und das an der Universität erworbene Fachwissen im betriebswirtschaftlichen Kontext anzuwenden. Als Absolvent neigt man dazu, den Fokus auf den fachlichen und wissenschaftlichen Teil der Fragestellung zu legen. Zentral für eine strategische Entscheidung im Unternehmen sind aber betriebswirtschaftliche Aspekte, für die wir hier Kosten, Performance, Qualität und Nachhaltigkeit als die wichtigsten aufgeführt haben. Wenn Sie diese Parameter zusätzlich zu den reinen Sachfragen berücksichtigen, stehen Ihre Chancen gut, in der Business-Case-Übung zu überzeugen.