Editorial

Durchstarten in der Life-Science-Industrie (8)
Bachelor, Master, PhD? – To be(come), or not to be(come), that is the question!

Morna Gruber, Laborjournal 12/2022


(12.12.2022) Viele Studierende der Life-Science-Fächer reflektieren immer und immer wieder die Frage, welcher Studienabschluss das beste Fundament für ihre zukünftige Berufslaufbahn darstellt. Manch einer fühlt sich dabei fast schon so zerrissen wie Shakespeares Hamlet, den sein innerer Konflikt zwischen dem Wunsch, den Tod seines Vaters zu rächen, und dem Hinterfragen seiner selbst in die Handlungsunfähigkeit treibt.

Verschiedene Unilaufbahn-Steckbriefe
Illustr. (6): HOX Life Science

Wir wollen heute die verschiedenen Abschlüsse miteinander vergleichen und ein buntes Bild der Möglichkeiten verschiedener Karrierechancen aufzeigen. Es besteht nämlich kein Grund zur Handlungsunfähigkeit aus Panik vor der falschen Entscheidung, denn es führen nicht nur viele Wege nach Rom, sondern auch viele Studienoptionen zum Traumjob.

Ich bin 45 Jahre alt, promovierte Biologin, geschäftsführende Gesellschafterin eines Unternehmens und Mutter zweier erwachsener Söhne im Alter von 24 und 22 Jahren. Oft sagen Gesprächspartner zu mir, wenn sie diese Eckdaten hören: „Wow, wie hast du das alles nur geschafft? Du hast bestimmt immer alles exakt durchgeplant, sonst hätte das doch niemals funktioniert.“

Ehrlich gesagt, habe ich nichts exakt durchgeplant – auch die frühe Mutterschaft war mir eher so passiert. Vielmehr bin ich in erster Linie meiner intrinsischen Motivation gefolgt und habe diejenigen Themen, Projekte und Studieninhalte verfolgt, die mir wichtig waren und für die ich mich brennend interessiert habe. Allerdings hatte ich im Alter von 23 schon zwei Kinder, war alleinerziehende Studentin -- und hatte einen 16-Stunden-pro-Woche-Nebenjob, um mich und meine Kinder zu ernähren. Das war ein volles Programm mit großer menschlicher und monetärer Verantwortung, ganz ohne vorausschauende Planung ging das natürlich auch nicht.

Was denn nun: Einfach den Interessen folgen oder vorausschauende Planung?

So wie die Informationsübertragung im Gehirn durch einen stetigen Wechsel von chemischer und elektrischer Informationsübertragung stattfindet, gestalte ich meinen Lebensweg mit einer für mich passenden Mischung aus Impuls und Planung. Dem impulsiven Teil lasse ich freien Lauf, wenn es um die Festlegung der Themen, Interessensgebiete und (Lebens-)Projekte geht. Der planerische Teil übernimmt die Führung, wenn die erfolgreiche Umsetzung sichergestellt werden muss.

Verschiedene Unilaufbahn-Steckbriefe

Auch bei Lebensentscheidungen, die existenziell relevant sind – wie zum Beispiel die Fragen „Welcher Job in welcher Stadt?“ oder „Gründe ich ein Unternehmen oder nicht?“ –, agiere ich sowohl impulsiv also auch planerisch. So war es auch bei der Entscheidung, was ich nach der Promotion mache. Da ich meine Kinder finanziell versorgen musste, war klar, dass ich direkt nach Auslaufen meines Promotionsvertrages eine Anschlussstelle haben musste. Denn der Arbeitslosengeldanspruch, den man mit einer halben Doktorandenstelle erwirbt, bringt zu wenig, um davon das Leben mit zwei Kindern souverän bestreiten zu können. Also sorgte mein vorausschauender, planerischer Teil dafür, dass ich frühzeitig anfing, mich zu bewerben.

Mein Impuls dagegen durfte bestimmen, auf welche Position. Alle in meinem Umfeld rieten mir, dass ich „endlich“ in die Industrie wechseln müsse, damit ich „endlich“ anständig verdiene. Schließlich müsse ich an die Absicherung der Kinder denken. Ich wollte aber unbedingt noch weiter im universitären Umfeld bleiben – und Postdoc an einem Institut werden, das an neurodegenerativen Erkrankungen forscht. Die Funktionsweise des Gehirns und seine Erkrankungen waren und sind einfach das Thema, für das ich brenne. In dieser Hinsicht ließ mein Impuls nicht mit sich verhandeln. Ich wäre sogar mit Kind(ern) und Kegel umgezogen, um dies zu verwirklichen – obwohl meine Kinder sehr protestierten.

Am Ende musste ich gar nicht umziehen. Ich bekam eine Postdoc-Stelle am Institut für klinische Neuroanatomie bei Thomas Deller in Frankfurt am Main. Von Mainz nach Frankfurt konnte ich problemlos pendeln. Ich war überglücklich und meine Kinder auch.

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Zu diesem Zeitpunkt war es mein festes Ziel, Professorin (und am liebsten auch Nobelpreisträgerin) zu werden. Deshalb hatte ich mich ja auch für eine Promotion entschieden, obwohl das mit den Kindern sowohl finanziell als auch zeitlich sehr herausfordernd war. Während der Postdoc-Zeit jedoch revidierte ich meinen Traum, den ich insgesamt fünf Jahre lang verfolgt hatte. Was wiederum zeigt, dass man nicht alles antizipieren und planen kann; manches muss man erst erleben, um zu merken, ob es passt. Wenn es dann nicht oder nicht mehr passt, befrage ich wieder das Team aus Impuls und Planung und beginne einfach eine neue spannende Reise – die Zukunft ist nämlich offen und gestaltbar, sofern wir uns angstfrei auf sie einlassen.

Nette persönliche Anekdote – aber nun die Hard Facts bitte!

Der eine oder die andere mag jetzt vielleicht denken: „Schön, dass es bei dir offenbar ganz gut funktioniert hat, Morna. Aber deine persönliche Geschichte hilft mir recht wenig für meine eigene Entscheidungsfindung. Und der Kommentar am Ende deiner Story ist auch ganz schön ‚cheesy’.“

Kann ich nachvollziehen. Deshalb schauen wir uns jetzt die Stellschrauben an, an denen der planerische Teil drehen kann, um dem impulsiven Teil bei der Verwirklichung der Jobträume zu helfen.

Verschiedene Unilaufbahn-Steckbriefe
Welche Optionen habe ich mit dem Bachelor in einem Life-Science-Fach?

  • Den Jobeinstieg in die Pharma- und Biotech-Industrie wagen. Und dann entscheiden, ob man in der Industrie bleibt und sich über „Training on the Job“ weiterentwickelt, oder ob man doch noch weiterstudieren will. Die Einstiegsjobs für Bachelor sind meist im Labor oder in der Dokumentation – und von dort aus kann man dann seine Laufbahn weiterentwickeln. Als Bachelor wird man tendenziell eher eine Fachkarriere und keine Führungskarriere einschlagen; aber da heute die Hierarchien flacher sind, kann man auch einiges an Gestaltungspielraum bekommen. Sollte man sich nach einer ersten Industriephase doch für das Weiterstudieren entscheiden, kann man sich viel bewusster einen konkreten Masterstudiengang aussuchen, da man durch die Industrieerfahrung eine bessere Vorstellung davon hat, in welche Richtung man fachlich und Laufbahn-mäßig gehen will. Außerdem findet man nach dem Masterabschluss auch wieder zügig eine Position in der Industrie, da man ja kein Industrieneuling mehr ist.
  • Dual weiterstudieren. Dies bietet eine perfekte Mischung aus dem Erwerb von akademischer Expertise sowie praktischer Berufserfahrung. Falls man später noch promovieren will, kann es allerdings sein, dass man von manchen Unis abgelehnt wird, da sie Vorbehalte gegen den dualen Abschluss haben – und zwar in der Hinsicht, dass die akademische Ausbildung nicht umfangreich genug war. Umgekehrt hat man aber schon Kontakte in die Industrie und erhöht dadurch die Chancen auf eine Promotion in Kooperation zwischen einem Industriepartner und einer Universität. Man muss einfach die Augen offenhalten und die für sich richtigen Unis und Industriepartner ansprechen. Und vielleicht zu einem Umzug bereit sein.
  • Wenn man sich noch unsicher ist, in welche Richtung genau man sich spezialisieren will, sucht man sich einen Masterstudiengang, der ein eher breites Wissensangebot liefert – damit man weiterhin eine größere Auswahl an Themen zur Verfügung hat, mit denen man sich beschäftigt. Durch Werkstudierendenjobs in der Pharma- und Biotech-Branche, durch Nebenjobs in fachfremden Bereichen, durch die Mitarbeit bei einer Studierendeninitiative oder durch außeruniversitäre Fortbildungen kann man dabei weitere Erfahrungen sammeln, die bei der Willensbildung helfen.
  • Es ist immer von Vorteil, die Bachelor- wie auch die Masterarbeit in Kooperation mit einem Unternehmen zu verfassen. In diesem Fall bekommt man die Industrieerfahrung gleich gratis mit dazu. Und mit etwas Glück erhält man im Rahmen eines Praktikums- oder Werkstudierendenvertrages sogar noch eine kleine Vergütung.

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Welche Optionen habe ich mit dem Master?

  • Einstieg in die Industrie: Es gibt kein festgelegtes Set an Positionen, die für Masterabsolventen reserviert sind. Manchmal haben sie es jedoch ein bisschen schwer beim Einstieg: Viele Unternehmen halten fertige Master für überqualifiziert, wenn es um Labormitarbeiterstellen geht – während sie für Wissenschaftlerstellen unterqualifiziert sind. Das bedeutet dann, dass man ein paar Bewerbungen mehr schreiben muss, wenn man gern ins Laborumfeld beziehungsweise in Forschung und Entwicklung möchte. Ansonsten stehen einem eine Vielzahl von Jobs entlang der Wertschöpfungskette der Medikamenten-, Diagnostika- und Geräteentwicklung offen. Mit dem Master kann man sowohl eine Fach- wie auch eine Führungslaufbahn einschlagen, wobei man natürlich nicht mit einer Führungsposition startet. Zunächst muss man erstmal Berufserfahrung und Fachexpertise in der Welt der Industrie sammeln.
  • Promovieren ja oder nein? Viele Masteranden quälen sich mit der Frage, ob sie promovieren sollen und welchen Einfluss das auf ihre Berufslaufbahn hat. Meine Ansicht dazu ist die folgende: Wenn man einen regelrechten Drang hat, sich weiter und intensiv mit wissenschaftlicher Forschung und Laborarbeit zu beschäftigen, wenn man also wirklich eine intrinsische Motivation für das Thema oder die Methode hat, dann sollte man forschen und entwickeln – und am Ende wird man sogar mit dem Doktortitel belohnt. Hat man aber eigentlich nur mäßig Interesse, und die Hauptmotivation für das Promovieren ist, dass man sich bessere Karrierechancen damit ausrechnet, dann sollte man es auf keinen Fall tun. Es handelt sich um drei bis sechs Jahre, die man mit dem Thema, den Methoden und dem Institut verbringt – meist auch nur mit einer halben Stelle, also eingeschränktem Gehalt. Das ist einfach eine zu lange Zeit des Lebens, nur weil man denkt, dass es im Lebenslauf gut aussieht.
    In derselben Zeit kann man auch mit seinem Master in der Industrie Fuß fassen und schon an seiner Fach- und Führungslaufbahn arbeiten. Auch wenn das Einstiegsgehalt als Master häufig noch überschaubar ist, hat man in den drei bis sechs Jahren aber bereits die ersten beiden Gehaltssprünge gemacht. Hinzu kommt, dass manche Unternehmen durchaus kritisch gegenüber Promovierten eingestellt sind – erst recht, wenn diese schon über dreißig und noch ohne jegliche Industrieerfahrung sind. Andererseits gibt es Unternehmen, die bevorzugt Promovierte einstellen und dies auch als Voraussetzung für eine Führungslaufbahn sehen. Aber das ist ja das Wundervolle: Es gibt kein „One Size Fits All“, man findet seinen Einstieg, ob mit oder ohne Promotion. Manchmal muss man vielleicht nur ein bisschen länger suchen und die eigenen Ansprüche an Einstiegsjob und -gehalt überprüfen – aber früher oder später findet man das Unternehmen, das gut zu einem passt.
  • Promovieren ja: Wie eben schon erwähnt, bemängeln Unternehmen häufig die fehlenden betriebswirtschaftlichen und Industrie-affinen Kenntnisse bei Promotionsabsolventen. Sollte man sich für die Promotion entscheiden, kann man sich für den späteren Industrieeinstieg schon frühzeitig ein paar Vorteile verschaffen, indem man sich für ein translationales und anwendungsbezogenes Forschungsthema entscheidet. Anwendungsbezogene Themen bekommt man häufig, wenn man an Technischen Hochschulen, außeruniversitären Instituten oder an einer Uniklinik in Kooperation mit einem Unternehmen promoviert. Darüber hinaus sollte man am Institut gezielt Aufgaben übernehmen, die einem Kontakte zur Industrie ermöglichen, beispielsweise sich um den Einkauf oder die Wartungsverträge der Geräte kümmern. Darüber hinaus gilt auch hier wieder: Bilden Sie sich neben der wissenschaftlichen Arbeit zu industrie-relevanten Themen wie Good Manufacturing Practice (GMP) und Betriebswirtschaftslehre (BWL) weiter.

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Welche Optionen habe ich mit dem PhD?

  • Postdoc: Wenn man einen Postdoc machen will, aber anstrebt, danach in die Industrie zu gehen, gilt Ähnliches wie für die Promotion. Man sollte eine translationale und anwendungsbezogene Fragestellung wählen, Kooperationen mit der Industrie herstellen, in internationalen Arbeitsgruppen arbeiten und sich parallel zu GMP- und BWL-Themen weiterbilden. Man sollte nicht zu lange mit dem Übertritt in die Industrie warten.
  • Industrie: Im vorherigen Abschnitt wurde ja schon viel darüber gesprochen, was man während der Promotion tun kann, um sich frühzeitig auf den Industrieeinstieg vorzubereiten. Hat man sich während der Promotion aber rein auf die akademische Arbeit konzentriert, ist das auch kein Beinbruch. Dann sollte man sich einfach so schnell wie möglich in außeruniversitären Fortbildungen zu Themen wie GMP, Regulatory Affairs, Klinische Studien, Projektmanagement und BWL fortbilden. In diesen Fortbildungen bekommt man einen Eindruck, welche Position in der Industrie zu einem passen könnte. Sollte man im Anschluss an die Promotion arbeitslos geworden sein, kann man bei der Agentur für Arbeit einen sogenannten Bildungsgutschein beantragen und bekommt die Fortbildungen mit etwas Glück sogar bezahlt.
  • Familienzeit: Oft ist man bei Abschluss der Promotion schon über dreißig, und die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Gründung einer Familie stellt sich immer lauter. Da dies ein sehr komplexes Thema ist und der Platz heute begrenzt, widmen wir erst die nächste Folge dem Thema „Vereinbarung von Familienplanung und Karriere“.

Take-Home-Message

  1. Ich empfehle eine sinnvolle Balance zwischen freiem Explorieren und Planen. Das Studium ist auch dazu da, sich eine breite Wissensgrundlage anzueignen und sich auszuprobieren. Nach und nach findet man heraus, welche Themen einen besonders interessieren – und auf diese spezialisiert man sich dann gezielt.
  2. Da man es nie allen recht machen kann, gibt es auch nicht den einen perfekten Studien- und Lebenslauf, an den man sich nur halten muss, damit aus allen Ecken Jobangebote kommen. Deshalb, wenn man für ein Thema brennt: Go for it! Durch die hohe intrinsische Motivation für das Thema wird man eine Menge lernen und auch gut darin sein. Selbst wenn es sich nicht um das Industrie-affinste Thema handelt, eignet man sich genügend Wissen an, das man später transferieren kann. Fehlendes Industrie-affines Wissen kann man sich immer noch über außeruniversitäre Fortbildungen aneignen.
  3. Keine Panik, wenn man zwar vieles interessant findet, aber kein Thema findet, für das man brennt. Wahrscheinlich ist man Generalist und kultiviert dies, indem man sich besonders breit bildet und gut darin wird, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Themen herzustellen.
  4. Und nun der ultimative Tipp: Antizipieren ist nicht dasselbe wie selbst erleben. Deshalb ran an die Nebenjobs, Praktika, Studierendeninitiativen, Doktorandenkolloquien, Auslandssemester und außeruniversitären Kurse! Es macht unheimlich Spaß zu lernen, sich auszuprobieren und Selbstwirksamkeit zu spüren. Und ganz nebenbei qualifiziert man sich damit auch für seinen Traumjob weiter.