Editorial

Durchstarten in der Life-Science-Industrie (7)
„Pharmareferent? – Da fahr‘ ich lieber Taxi! Oder ist das vielleicht doch ein cooler Job?“

Morna Gruber und Marta Lee, Laborjournal 11/2022


(09.11.2022) Viele Absolventen treibt die Angst um, nach dem Uni-Abschluss keinen Job zu bekommen. Sehr oft fallen dann Sätze wie: „Im Notfall muss ich Taxi fahren.“ Nicht selten wird dann noch hinterhergeschoben: „Wie auch immer, eines steht jedenfalls fest: Pharmareferent werde ich nicht, ich bin doch kein Klinkenputzer.“

Gerne würden wir mit den Vorurteilen gegenüber der Position der Pharmareferentin und des Pharmareferenten aufräumen – und zeigen, dass diese vielmehr bestausgebildete Kommunikatoren für wissenschaftliche, medizinische und pharmazeutische Informationen sind.

Um die verantwortungsvolle Tätigkeit der Pharmareferenten verstehen zu können, benötigen wir etwas Hintergrundwissen über die Pharmabranche und die Gesetze, die diese regulieren. Betrachten wir deshalb zunächst das Umfeld, in dem sich Pharmareferenten bewegen.

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Die „klinkenputzende“ Pharmareferentin von einst ist heute eine Multi-Channel-Managerin.

Marketing und Sales in der Pharmaindustrie – ein sensibles Thema ...

Die Pharma- und Biotechbranche sieht sich einem ganz besonderen Spannungsfeld voller zum Teil widersprüchlicher Erwartungen ausgesetzt. Zunächst wird von der Pharmaindustrie erwartet, dass für sie das Wohl und die Gesundheit des Menschen an erster Stelle stehen sollen. Ganz selbstverständlich wird dabei vorausgesetzt, dass Pharmaunternehmen permanent eine volle Entwicklungs-Pipeline an innovativen Arzneimitteln vorweisen können, die allen möglichen Krankheiten vorbeugen sowie diese heilen oder zumindest deren Symptome lindern sollen. Gleichzeitig sieht die Pharmabranche sich jedoch häufig der Kritik ausgesetzt, die Medikamente seien zu teuer – und mit dem Verkauf der Medikamente werde Profit aus dem Leid der Menschen geschlagen.

Wenn man sich diese Debatten genau anschaut, besteht also im Prinzip die Erwartung, dass hochwirksame Medikamente sehr kostengünstig von der Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt werden müssten. Wie wir jedoch in Folge 2 dieser Serie gesehen haben, liegen die Kosten für die Entwicklung eines neuen marktreifen Medikaments irgendwo zwischen 1,2 bis 1,8 Milliarden US-Dollar. Dieses Geld muss auch wieder erwirtschaftet werden. Dies wiederum geht aber nur über den Verkauf der Medikamente am Markt zu einem Preis, der diese Entwicklungskosten wieder einspielen kann.

Doch was zudem viele nicht wissen: Seit 2011 darf die Pharmaindustrie in Deutschland die Preise für ihre Medikamente nicht mehr frei bestimmen. Im Rahmen des sogenannten AMNOG-Verfahrens werden die Preise für neue, patentgeschützte Arzneimittel auf Basis einer Zusatznutzenbewertung verhandelt.

... und zudem reguliert durch Gesetze

Dies bringt uns gleich weiter zu dem Aspekt, dass die Pharmaindustrie eine stark durch Gesetze und Verordnungen regulierte Branche ist. Für den Gesetzgeber stehen die Sicherheit der Patienten sowie die Wirksamkeit der Medikamente an oberster Stelle. Das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (kurz Arzneimittelgesetz, AMG) bildet mit seinen 20 Absätzen und 148 Paragrafen den roten Faden im Netz der Regularien rund um die Entwicklung, Herstellung und Inverkehrbringung von Arzneimitteln.

In Paragraf 11a des AMG mit dem Titel „Fachinformation“ wird festgelegt, dass die Pharmaunternehmen verpflichtet sind, Fachkreise – also etwa Ärzte und Apotheker – mit Informationen über diejenigen Arzneimittel zu versorgen, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen. Des Weiteren wird auch definiert, welche Informationen dies sind. Es handelt sich zum einen um die Fachinformationen, zum anderen aber auch um darüber hinausgehende pharmakologische und pharmazeutische Angaben. Es besteht also eine gesetzliche Informationspflicht, in deren Kontext der Pharmaberater eine wichtige Rolle als Kommunikator dieser Fachinformationen einnimmt.

Um sicherzustellen, dass die Fachinformationen auch pharmazeutisch-medizinisch-wissenschaftlich korrekt übermittelt werden, beschreibt das AMG in Paragraf 75 sogar sehr explizit die Voraussetzungen – inklusive der entsprechenden Sachkenntnis –, die eine Person erfüllen muss, um überhaupt als Pharmareferent tätig sein zu dürfen. Dazu zählen Personen, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Pharmazie, Chemie, Biologie, Human- oder Veterinärmedizin abgeschlossen haben – oder die eine abgeschlossene Ausbildung zum technischen Assistenten in den oben genannten Fächern haben. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, über eine Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) die vorhandene Sachkenntnis zu belegen und darüber ebenso als Pharmareferent zugelassen zu werden.

Des Weiteren ist der Pharmareferent bei seiner Arbeit nicht nur verpflichtet, die Fachinformationen korrekt zu vermitteln, sondern er muss sich darüber hinaus an die Vorgaben des Heilmittelwerbegesetzes und – falls sein Unternehmen dort Mitglied ist – an die Leitlinien des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) e. V. halten. Durch das Heilmittelwerbegesetz und die Leitlinien der FSA wird sichergestellt, dass die Bewerbung von Arzneimitteln fachlich und ethisch korrekt umgesetzt wird, um das Wohl und die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten.

Die Position des Pharmareferenten – vorurteilsfrei betrachtet

Durch die Betrachtung der Hintergründe, Gesetze und Regularien, die das Tätigkeitsfeld des Pharmareferenten definieren, wird deutlich, dass Pharmareferenten bestausgebildete Kommunikatoren für wissenschaftliche, medizinische und pharmazeutische Informationen sind. Ein Pharmareferent ist daher kein Verkäufer im klassischen Sinne, zumal in der Kommunikation mit dem Arzt gar kein Verkaufsakt stattfindet. Der Arzt kauft das Medikament schließlich nicht vom Pharmareferenten oder vom Pharmaunternehmen, sondern er verschreibt es dem Patienten, weil er das Medikament als die geeignete therapeutische Maßnahme betrachtet. Die Krankenkasse übernimmt dann die Kostenbegleichung.

Selbstverständlich geht es dem Pharmareferenten darum, den Arzt von den Vorteilen des Medikaments, für das man zuständig ist, zu überzeugen – eben mit dem Ziel, dass dieser die Medikamente seinen Patienten verschreibt und damit dann der Umsatz für das Pharmaunternehmen steigt. Von den Vorteilen überzeugen kann man den Arzt allerdings nur im Rahmen eines Fachgesprächs über das Indikationsgebiet, die Wirkungsweise sowie die Wechsel- und Nebenwirkungen des Medikaments. Jeder Arzt hat beispielsweise Patienten, die verschriebene Medikationen nicht gut vertragen – dann kann man herausarbeiten, in welcher Hinsicht das eigene Medikament wirksamer, besser verträglich, feiner dosierbar oder leichter anwendbar ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist etwa auch immer die Herausarbeitung der Vorteile des Medikaments bei der Behandlung von Risikopatienten.

Selbstverständlich muss man sich diese umfangreichen Informationen nicht alle selbst erarbeiten und zusammenstellen, vielmehr erhält man diese zusammen mit passendem Informationsmaterial vom Produktmanager und der Marketingabteilung.

Corona und die Digitalisierung verändern das Berufsbild – und machen es vielfältiger

Jahrzehntelang fanden diese Informationsgespräche mit Ärzten im Rahmen von Praxisbesuchen im Außendienst wie auch in Gesprächen auf Messen und Kongressen statt. Mittlerweile werden jedoch auch andere Wege genutzt, die Ärzte zu erreichen. Gerade in den letzten Jahren hat das klassische Aufgabenfeld des Pharmareferenten in dieser Hinsicht eine starke Wandlung erfahren. Begonnen hat diese Entwicklung mit der zunehmenden Digitalisierung sowie unserem veränderten Kommunikations- und Lernverhalten durch Internet, Smartphone und Social Media. Weiter katalysiert wurde dieser Prozess durch die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie, aufgrund derer persönliche Besuche der Pharmareferenten in den Praxen nur noch eingeschränkt möglich waren. Die Veränderungen des Berufsbildes gehen mittlerweile so weit, dass sogar der Jobtitel „Pharmareferent“ bei einigen Unternehmen schon durch Namen wie Digital-Relationship-Manager oder auch Multi-Channel-Manager ersetzt oder ergänzt wurden.

In diesem erneuerten Berufsbild des Pharmaberaters gilt es heute verstärkt, eine Strategie zur orchestrierten Betreuung der Kunden sowohl über digitale als auch über persönliche Kanäle (Channels) zu entwickeln. Das Aufgabenfeld hat sich also dahingehend verändert, dass nicht mehr die persönlichen Besuche im Außendienst, die immerhin rund 80 Prozent des Arbeitsalltags eines klassischen Pharmareferenten ausgemacht haben, als das alleinige Mittel zur Ansprache angesehen werden. Die Ansprache über persönliche Besuche entspricht nun noch einem von mehreren „Channeln“ oder Kanälen, die der Mitarbeiter heutzutage zur Verfügung hat, um die Ärzte zu erreichen.

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Das Set an Möglichkeiten, über das eine Pharmareferentin heute zur Kontaktaufnahme und Informationsübermittlung an Ärzte verfügt.

Diese Abbildung (im Print auf Seite 66) zeigt das Set an Möglichkeiten, die ein Pharmareferent heute für Kontaktaufnahme mit sowie Informationsübermittlung an Ärzte wahrnehmen kann. Von daher gilt es, diese verschiedenen Kanäle fein abzustimmen und eine Strategie für die Kundenansprache zu entwickeln. So kann ein heutiger Channel-Manager beispielsweise in einem Newsletter auf einen anstehenden Kongress aufmerksam machen, diesen in einem Brief näher erläutern, am Telefon eine Einladung aussprechen – um schließlich auf dem Kongress ein persönliches Gespräch zu führen. Zum Nachfassen kommt der Channel-Manager dann selbst zu einem Termin in die Praxis – das ist letztlich ein entscheidender Schritt in solch einer „Customer-Journey“ und repräsentiert den nach wie vor teuersten und wichtigsten Kanal: den persönlichen Besuch. Der Schlüssel insgesamt ist jedoch, die bevorzugten Kanäle des einzelnen Arztes zu finden. Ob HCP-Portal (HCP = Healthcare Practitioner) oder in einzelnen Fällen sogar das altbewährte Fax, heute haben die Channel-Manager dafür ein umfangreiches Toolkit an der Hand.

Das Berufsbild individualisiert sich weiter

Das Letztgesagte darf allerdings nicht so verstanden werden, dass es den klassischen Pharmareferenten im Außendienst gar nicht mehr gibt und dass heute jeder Pharmaberater ein Multi-Channel-Manager ist, der alle Kanäle gleichzeitig bespielt. Vielmehr ist es so, dass sich Strategie und Struktur des Pharmavertriebes gerade mitten im Umbruch befinden und sich daher viele verschiedene Ausprägungen des Pharmaberaters zeigen. Die meisten Unternehmen befinden sich aktuell in dem Prozess, die jeweils bestmögliche Strategie für sich zu entwickeln. So setzt deren Mehrheit momentan auf ein duales (hybrides) System: einerseits das Team an Pharmareferenten im klassischen Außendienst, ergänzt um ein Team aus Digital-Relationship-Managern, die den Außendienst mit ihren digitalen Methoden der Ärzteansprache und -bindung ergänzen.

Doch auch für die digitale Arbeit gibt es wieder unterschiedliche Organisationsformen. Manche Unternehmen etablieren Multi-Channel-Manager, die das gesamte digitale Portfolio bespielen und je nach Potenzial des anzusprechenden Arztes entscheiden, welchen Kanal und welches Tool sie wählen. Andere Unternehmen hingegen organisieren die Betreuung der verschiedenen digitalen Kanäle modular – sodass es für jeden Kanal ein Team gibt, das nur diesen bespielt und darüber die für diesen Kanal affinen Ärzte betreut.

Im großen Feld des Pharmavertriebes gilt also momentan Heraklits „Panta rhei“ (Alles fließt). Dies wird sicher auch noch längere Zeit so sein, da sich immer weiter neue Möglichkeiten im digitalen Raum auftun. Gerade für Menschen, die gerne aktiv mitgestalten, kann diese aktuelle Phase des Wandels im Pharmavertrieb besonders spannend sein, da sich hier einige Möglichkeiten bieten dürften, das eigene Berufsbild für die Zukunft mitformen zu können.

Die Angst vor Anbiederung ist unbegründet

Bis heute lehnen jedoch viele Absolventen die Position des Pharmareferenten ab, da sie Angst davor haben, sich anbiedern und „Klinken putzen“ zu müssen. Diese Angst ist unbegründet. Natürlich gibt es Ärzte, die keine Pharmareferenten empfangen möchten. Aber nachdem man dies erfahren hat, besucht man diese Ärzte im Rahmen seiner Außendiensttätigkeiten einfach nicht mehr. Vielmehr überlegt man sich, ob diese Ärzte vielleicht eher über einen der digitalen Kanäle oder über Kongresse und Fortbildungen zu erreichen sind.

Im Außendienst fokussiert man sich vielmehr auf diejenigen Ärzte, die Gespräche mit dem Pharmareferenten als wichtige Informationsquelle sehen, um sich über neue Medikamente oder über Änderungen in der Fachinformation und den Leitlinien informieren zu lassen. Viele Ärzte nutzen die Gespräche auch gerne, um Fragen zu Dosierung für Risikopatienten und Patienten mit Vorerkrankungen besprechen zu können. Tatsächlich haben einige Praxen sogar feste Sprechzeiten für Pharmareferenten, oder das Assistenzteam vergibt auf Anfrage individuelle Termine für das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin.

Das Gehalt

Für Berufseinsteiger liegt das Jahresgehalt inklusive Boni bei 50.000 bis 60.000 Euro plus Dienstwagen. Nach zwei bis fünf Jahren bewegt man sich in der Spanne zwischen 60.000 und 85.0000 Euro. Sehr erfahrene und erfolgreiche Pharmareferenten können in der weiteren Gehaltsentwicklung auch die Zone von 85.000 bis 100.000 Euro erreichen.

Take-Home-Message

  1. Pharmareferenten sind Kommunikatoren für wissenschaftlich-pharmazeutische Fachinformationen, die von vielen Ärzten als Gesprächspartner geschätzt werden, um sich zügig und gezielt über relevante Neuerungen informieren zu lassen.
  2. Aufgrund der Möglichkeiten, die sich durch digitalisierte Informationsformen ergeben, sind die Strategien und Strukturen im Pharmavertrieb gerade stark im Umbruch, sodass sich für Pharmaberater ganz neue Aufgabenfelder und Positionen im Großkontext von Marketing und Vertrieb von Medikamenten sowie der Vermittlung von Informationen zu wissenschaftlich-pharmazeutischen Themen ergeben. Von daher kann das Berufsbild auch für Menschen interessant sein, die sich den klassischen Außendienst nicht zutrauen.