Editorial

Jetzt mal ehrlich

Kuriositätenkabinett der Ausreden und Euphemismen

Von Debora Weber-Wulff, Berlin


Essays
Illustration: Tim Teebken

(07.07.2015) Wer bei wissenschaftlichem Fehlverhalten erwischt wurde, ist oftmals um Ausreden nicht verlegen. Dabei werden die Ertappten manchmal kreativer als in ihrer eigentlichen Arbeit.

Als Hochschullehrerin habe ich mir seit Anfang der 90er Jahre viele Ausreden von plagiierenden Studierenden anhören müssen. Seit 2011, als dem damaligen deutschen Verteidigungsminister zu Guttenberg sein Doktorgrad wegen Plagiierens entzogen wurde, sind sehr viele öffentliche Fälle von Plagiaten in den Wissenschaften offen gelegt worden. Teilweise werden dabei abenteuerliche Ausreden bemüht, um einen Plagiatsvorwurf zu entkräften oder zu leugnen. Nicht immer kommen die Ausreden von den Autoren selber, auch die Institutionen reden sich manchmal unverständlicherweise aus offensichtlichen Plagiaten heraus.

Studierende sind ausgesprochen kreativ, wenn es darum geht, Erklärungen dafür zu finden, warum ihre „Werke“ textidentisch zu Lehrbüchern oder Internet-Quellen sind. Einige meiner Studierenden haben bereits 2001, nachdem sie beim umfangreichen Plagiieren ertappt worden sind, erklärt [1]:

  • Es ist doch erlaubt, alles aus dem Internet zu verwenden!
  • Es seien nur ein paar Sätze, die nicht besser haben formuliert werden können!
  • Sie haben so was nie gelernt in der Schule. [Das Thema war allerdings zumindest in Berlin im Lehrplan für das 9. Schuljahr. ]
  • Es war gerade Wiedervereinigung als sie in der 9. Klasse waren, da ging einiges drunter und drüber. [Ging rechnerisch gar nicht.]
  • Sie haben es immer so in der Schule gemacht! Noch nie seien sie aufgeflogen.
  • Die Lehrkräfte sind eh zu doof, um eine Suchmaschine zu bedienen.
  • Sie können es sich nicht erklären, die Zeilen haben sich vielleicht von selbst auf ihren Rechner eingetippt...


Über die Jahre habe ich weitere Ausreden eingesammelt. Sehr populär ist die Zeitmangel-Ausrede, dicht gefolgt von „Wikipedia-sagt-doch-schon-alles-warum-soll-ich-das-auch-schreiben“. Ein Student vermutete, seine Frau habe wohl nachts die Texte vom Buch abgetippt. Ein anderer beteuerte, seine Notizen ohne Quellenangabe schnell abgetippt zu haben, dann zwei Wochen bei der Attac-Demo in Griechenland gewesen zu sein – und anschließend habe er gedacht, die genialen Zeilen wohl selbst geschrieben zu haben. Ein tief-religiöser Student glaubte sogar, dass Gott ihm die Lösung seiner Schreibblockade eingegeben habe.

Auch im nichtwissenschaftlichen Bereich gibt es aparte Ausreden für Plagiate. Martina Gercke beteuerte etwa, ihre „Chick-Lit“ Romane seien anderen Romanen so ähnlich, weil sie die Texte von anderen Büchern als „Platzhalter“ verwendet hat, und lediglich vergessen habe, einige dieser Platzhalter zu überarbeiten [2].

Gestandene Wissenschaftler hingegen plagiieren nicht, möchte man meinen. Die der Wissenschaft Verpflichteten würden nur ehrlich arbeiten und nie die Texte oder Daten anderer ungekennzeichnet übernehmen oder eigene Texte mehrfach verwerten. Da täuscht man sich, leider.

In der Wissenschaft gibt es teilweise noch fantasievollere Ausreden oder Euphemismen. Schließlich darf man das böse Wort „Plagiat“ ja nicht sagen, weil das ehrabschneidend sein könnte – und dann werden Anwälte auf den Plan gerufen. Dabei wird letztlich ein Werk als „Plagiat“ bezeichnet und nicht eine Person als „Plagiator“, aber dieser feine Unterschied wird in der Aufregung schnell vergessen.

Statistische Verteilungen über die Häufigkeit dieser Ausreden können zum Glück nicht errechnet werden, da wir sonst darüber hätten Buch führen müssen. Folgendes bleibt daher ein Kuriositätenkabinett der besten Ausreden und Euphemismen:

  • Karl-Theodor zu Guttenberg, laut [3, S. 63 ] bereits in der Schule „Ausredenbaron“ genannt, ist mit seinen „Gedankensteinbrüchen“ aus etwa 80 Disketten und ein paar Laptops durcheinandergekommen. Dieser „defizitäre Arbeitsstil“ [4, S. 25 ] führte dazu, dass er die Fußnoten einfach vergessen hat.
  • Georgios Chatzimarkakis hat vor lauter Aufregung darüber, ob er Oxford-Style oder Harvard-Style referenziert hat, übersehen, dass er gar nicht zitiert hat, obwohl er seine Texte teils wortwörtlich aus der angegebenen Quelle übernommen hat.
  • Annette Schavan benötigte keine Ausreden, denn sie habe ihrer Meinung nach nicht plagiiert – trotz umfangreicher wissenschaftlicher, universitärer und richterlicher (VG-Düsseldorf-15K-2271/13) Versuche, ihr das Gegenteil klar zu machen.
  • Ein Doktorand, der seine Dissertation auf der VroniPlag-Wiki-Liste wiederfand, rief bei mir an und erklärte, dass seine Arbeit natürlich mit den anderen aus der Arbeitsgruppe übereinstimmt. Es hingen ja Zettel mit Methodenbeschreibungen an den Geräten, die sie für ihre Messungen benutzt haben. Und der Doktorvater habe alle angewiesen, diese Zettel abzuschreiben und in ihren Arbeiten unterzubringen.
  • Sehr beliebt ist die Ausrede, trotz Plagiaten enthalte eine Arbeit einen „wissenschaftlichen Kern,“ der so wichtig sei, dass man die Plagiate vernachlässigen könne. „Leider“ sehen die Gerichte das ganz anders, denn dort wird wiederholt festgestellt, dass die plagiatsbehaftete und nicht die plagiatsfreie Fassung als Ganzes eingereicht wurde.
  • Euphemismen wie „handwerkliche Mängel“, „handwerkliche Schwächen” oder „technische Probleme” werden öfter verwendet, um das Nicht-Auszeichnen von Quellen als kleine, lässliche Sünde dastehen zu lassen.
  • Oder man versucht, von der Textübernahme abzulenken und auf die Daten zu verweisen: Sie sind in Ordnung! Die Texte drumherum seien nur Beiwerk, so etwas Ähnliches wie Antragslyrik oder Folklore.
  • Günstig ist es, wenn eine Universität einfach kein wissenschaftliches Fehlverhalten feststellen kann, obwohl durchaus umfangreiches Abschreiben vorliegt. So umgeht die Uni die peinliche Diskussion darüber, warum das Plagiat nicht rechtzeitig als solches erkannt wurde. Schließlich könne man nicht jedes Lehrbuch kennen, aus denen sich die Leute bedienen. Auch könne man nicht erwarten, dass ein Gutachter sich an andere Dissertationen erinnern kann, die er oder sie vor über einem Jahr gelesen hat! Und wenn akademische Grade nicht entzogen werden, bleiben auch die Anwälte weg. Es hat noch keiner dagegen geklagt, dass man ihm seine Promotion nicht entzogen hat.
  • Manche Personen verstehen leider nicht die Mächtigkeit der Sprache. Sie glauben, es gäbe keinen anderen Weg, einen Sachverhalt zu beschreiben, als der, den sie in einer Publikation lesen. Das stimmt aber nicht. Ich lasse zum Beispiel meine Studierenden kurze Vorlesungszusammenfassungen schreiben und erhalte immer 40 nicht-identische Beschreibungen von dem, was sie meinen, dass ich gesagt haben könnte. Das kann natürlich auch andere Erklärungen haben und hängt bestimmt mit deren Mobiltelefonnutzung zusammen – aber das wäre ein anderer Essay...


Wenden wir uns nun dem wissenschaftlichen Publikationswesen zu. Auch dort gibt es wissenschaftliches Fehlverhalten, also nicht nur Plagiat, sondern auch Text­recycling („redundant publication“) und Forschungsergebnisaufsplittung („salami slicing“). Auch hier gibt es bedauerlicherweise viel Bedarf an Ausreden. Der Blog Retraction Watch sammelt seit einigen Jahren die wunderbaren Umschreibungen für „Plagiat“, die Verlage verwenden, wenn sie kundtun müssen, dass sie einen Aufsatz haben zurückziehen müssen [5, 6 ]: “improper citation methods,” “unacceptable level of text parallels,” “inclusion of significant passages of unattributed material from other authors,” “significant originality issue,” “unintended excessive reuse of the text”. Es wird auch auf „ehrliche Fehler” („honest error“) hingewiesen, als ob ehrliches wissenschaftliches Fehlverhalten irgendwie in Ordnung sei.

In vielen Diskussionen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Forschungsgebieten, in denen experimentell geforscht wird, habe ich gehört, dass der Methodenteil abgeschrieben werden darf. Manchmal frage ich dann, ob sie wirklich genau danach vorgegangen sind, oder ob sie die Methoden doch eher hinterfragt und abgeändert haben – und bekomme zur Antwort, dass hier ein Reagenz ausgetauscht wurde oder ein Kontrastmittel, oder dass die Dosierung leicht variiert wurde. Also doch nicht exakt dieselbe Methode. Vielleicht liegt das Problem, dass zunehmend Experimente nicht repliziert werden können, tatsächlich darin, dass die Methodenteile doch nicht ganz stimmen, aber weiterhin so abgeschrieben werden?

Und dann gibt es noch die Doppelpublikationen. Martin Tobin dokumentiert folgende schöne Ausreden von Autoren, denen „Duplicate Publication“ vorgeworfen wurden [7]:

  • “We did not read the instructions”;
  • “We wanted to reach a different audience”;
  • “Our failure to cross reference the other article was a simple oversight”;
  • “We perceive the overlap to be much less than the reviewer or editor thinks”;
  • “We now see that we broke the rules, but this was never our intent.”


Fehlender Vorsatz oder Absicht wird von vielen in ihren Entschuldigungen verwendet. Als ob man jegliches Problemverhalten dadurch entschuldigen könnte, dass man nicht täuschen wollte. Es gibt in der Tat Fehler, die passieren. Wir sind ja alle nur Menschen. Dann können ja auch Korrekturen vorgenommen und kenntlich gemacht werden. Nur ist es kein Fehler, wenn elf Seiten einer Dissertation ohne Quellenangabe wortwörtlich aus Wikipedia übernommen sind; es ist kein Versehen, wenn zwei identische Arbeiten an zwei aufeinander folgenden Tagen bei zwei verschiedenen Journalen eingereicht werden; es geschieht nicht unbewusst, dass eine Case Study aus einem anderen Journal zu einem ähnlichen Fall verwendet wird (Diskussion inklusive) – und nur die Daten der eigenen Patienten eingesetzt werden.

Wir verlieren das Ziel aus dem Augen: gute Wissenschaft. Zweitverwertungen sollten einfach ausgewiesen sein; Methodenteile sollten angeben, wo sie entnommen sind; Plagiate haben in der Darstellung von Wissenschaft nichts zu suchen; Daten sollten ehrlich wiedergegeben werden. Nur scheint all dies zunehmend ein systemisches Problem. Immer öfter werden wir mit wissenschaftlichem Fehlverhalten konfrontiert – und rasen direkt auf den Abgrund der Belanglosigkeit und Beliebigkeit zu, ohne dass es eine Notbremse gibt.

Martin Tobin notiert [7] übrigens süffisant, dass er noch nie als Ausrede eines Ertappten gehört hat: „Wir dachten, es wäre eine gute Methode, um unseren Lebenslauf zu ergänzen.“ Das wäre auch zu viel verlangt. Denn wenn die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft schließlich noch funktionieren sollten, dann sollte ja sowieso mehr Kreativität in die Arbeiten selbst gesteckt werden als in die Ausreden.

Debora Weber-Wulff ist Professorin für Internationale Medieninformatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.Seit 2011 arbeitet sie an der kollaborativen Plagiatsdatenbank VroniPlag Wiki mit.

Literatur

[1] Weber-Wulff, D. (2001) Aufdeckung von Plagiaten: Suchen im Internet für Lehrkräfte. [Webseite ] http://people.f4.htw-berlin.de/~weberwu/papers/plagiat.shtml, abgerufen am 9. Juni 2015

[2] Weber-Wulff, D. & Schroder, S. (29.05.2013). Martina Gerckes „Wiederholungsküsschen“ – der unendlichen Geschichte nächstes Kapitel. In Buchmarkt.de, http://www.buchmarkt.de/content/54954-martina-gerckes-wiederholungskuesschen-der-unendlichen-geschichte-naechstes-kapitel.htm, abgerufen am 9. Juni 2015. Siehe dazu auch http://chicklitplag.wordpress.com.

[3] Karl-Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo. (2011). Vorerst gescheitert: Wie Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Fall und seine Zukunft sieht. Freiburg im Breisgau: Herder.

[4] Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth (5. Mai 2011). Bericht an die Hochschulleitung der Universität Bayreuth aus Anlass der Untersuchung des Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens von Herrn Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg.

[5] Retraction Watch. (n.d.) Plagiarism Euphemisms [Blog] http://retractionwatch.com/category/by-reason-for-retraction/plagiarism/plagiarism-euphemisms/, abgerufen am 12. Juni 2015

[6] Marcus, A. & Oransky, I. (2013). The Euphemism Parade. What’s behind paper retractions? In Lab Times, 07/2013. http://www.labtimes.org/labtimes/ranking/dont/2013_07.php, abgerufen am 12. Juni 2015.

[7] Tobin, M. J. (2002). AJRCCM‘s Policy on Duplicate Publication – Infrequently asked Questions, In American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Vol. 166, No. 4, pp. 433-434. DOI: 10.1164/rccm.2205022, abgerufen am 12. Juni 2015.


Letzte Änderungen: 07.07.2015