Editorial

Sirtuine

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 01, 2014)


Stichwort

Sirtuin 6-Überexpression verlängert
die Lebensspanne von Mäusen
um bis zu 16% (Nature 483, 218-21)

Seit mehr als 450 Jahren schlägt sich Connor MacLeod durch die Welt und führt ein recht unauffälliges Leben, wenn er nicht gerade in einen Schwertkampf verwickelt ist. Was genau den „Highlander“ unsterblich macht, wird im Kinofilm aus dem Jahre 1986 leider nicht geklärt. Vielleicht hält ihn ja eine Überdosis an Sirtuinen frisch. Zumindest könnte man bei der einen oder anderen Schlagzeile auf diese Idee kommen.

Erstmals beschrieben wurden Sirtuine (für silent information regulator) Mitte der 1980er Jahre in der Bäckerhefe. Ab Ende der 90er häuften sich Hinweise auf einen lebensverlängernden Effekt. Exprimiert man Sirtuin-Gene in Hefe, C. elegans oder Drosophila über, so altern diese Organismen offenbar langsamer. Selbst in der Maus soll das SirT6-Gen an der Regulation der Lebensdauer beteiligt sein (Nature 483: 218-21). Andere Autoren konnten diese Ergebnisse jedoch nicht reproduzieren und zweifelten den lebensverlängernden Einfluss daher an. Aber auch so war bereits reichlich Diskussionsstoff vorhanden, wie sich die beobachteten Effekte womöglich erklären ließen.

Älter als der Zellkern

Zunächst einmal sorgen Sirtuine als Histon-Deacetylasen dafür, dass Chromosomenabschnitte dichter gepackt werden können und nicht mehr für Transkrip­tions­faktoren zugänglich sind. Die lebensverlängernde Wirkung, so der naheliegende Schluss, müsste also bei den Genen zu suchen sein, die durch Sirtuine stillgelegt werden. Evolutionsgeschichtlich sind Sirtuine allerdings sehr alt, denn sie sind auch unter Prokaryoten weit verbreitet. Offenbar hat die Natur sie daher zunächst nicht zum Bearbeiten von Histonen erfunden. Unter den Metazoen sind sieben Säugerorthologe sowie je vier Sirtuin-Varianten in C. elegans und der Fliege beschrieben (ausführlicher Review: Int. J. Dev. Biol. 53: 303-22).

Sirtuine benötigen als Kofaktor NAD+, um wirken zu können. Welche Rolle dieses zelluläre Oxidationsmittel spielt, untersuchte die Gruppe um Michael Ristow an der ETH Zürich unlängst genauer. Der Energiestoffwechsel-Experte glaubt, dass man die Rolle von NAD+ lange vernachlässigt hat und sich dadurch einige der widersprüchlichen Befunde erklären lassen. „Entscheidend ist, dass Effekte immer mit der Deacetylase-Funktion in Verbindung gebracht wurden“, meint er.

Es geht allerdings auch ohne

Im September 2013 beschrieben Kathrin Schmeisser, Johannes Mansfeld und Michael Ristow zusammen mit 18 weiteren Kollegen, dass eine Erhöhung von NAD+ bei C. elegans ebenso lebensverlängernd wirkt wie eine Überexpression der Sirtuine (Nat. Chem. Biol. 9: 693-700). Die Autoren verabreichten den Würmern hierzu Nicotinsäure (NA), besser bekannt als Vitamin B3, das in der Zelle zu NAD+ weiterverarbeitet wird. Erwartungsgemäß hatte diese Vitaminkur jedoch keine Wirkung, wenn die Tiere kein funktionsfähiges sir-2.1-Gen besaßen.

Editorial

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Während Sirtuine fleißig deacetylieren, degradieren sie NAD+ zu Nicotinamid (NAM). Dieses wiederum wird entweder recycelt oder weiter abgebaut. Auch die Gabe von NAM verlängert das Leben der Würmer. Soweit nicht überraschend, denn daraus lässt sich ja wieder der benötigte Kofaktor herstellen. Erstaunlicherweise aber tritt dieser Effekt auch ohne sir-2.1-Gen auf. Offenbar ist der Schlüssel für das längere Leben also beim NAM und seinen Abbauprodukten zu suchen. Dabei entstehen letztlich Stoffe, die lange Zeit einen schlechten Ruf genossen: Reaktive Sauerstoffspezies (ROS) – also Peroxide und andere Sauerstoffverbindungen, die Zellen schädigen können. Scheinbar liegt aber genau darin das Geheimnis der Sirtuine. „Wenn wir diese Metabolisierung des Nicotinamids mit genetischen Methoden unterbrechen, dann wirken auch die Sirtuine nicht mehr lebensverlängernd“, fasst Ristow zusammen.

Denn wird NAM weiter abgebaut, so entsteht zunächst 1-Methylnicotinamid (MNA). Knockt man das für diesen Abbau notwendige Enzym aus, so leben die Würmer auch bei Überexpression der Sirtuine nicht länger als die Wildtyp-Kontrollen – obwohl die Sirtuine ja weiterhin NAD+ verbrauchen und als Deacetylasen wirken. Eine Überexpression des MNA-katalysierenden Enzyms hingegen lässt die Tiere älter werden – auch ohne Sirtuin-Überexpression. Offenbar entfalten Sirtuine ihre lebensverlängernde Wirkung also ausschließlich über den Verbrauch von NAD+, den anschließenden Abbau von NAM und den auf diese Weise ausgelösten kurzfristigen Anstieg der ROS. Durch die Konfrontation mit den Sauerstoffverbindungen aktiviert die Zelle dann Signalwege, die langfristig zu niedrigeren ROS-Konzentrationen im Cytosol führen und die Resistenz des Organismus gegenüber chemischen Stressfaktoren steigern.

Doch nur Erfüllungsgehilfe?

Selbst beim Menschen gebe es Hinweise darauf, dass positive Langzeiteffekte durch sportliche Betätigung, etwa auf den Glucosestoffwechsel, über einen kurzfristigen ROS-Anstieg unmittelbar nach dem Training erklärbar seien. „Gibt man den Probanden Antioxidantien, bleiben diese Effekte aus“, nennt Ristow Ergebnisse einer eigenen Studie aus dem Jahr 2009 (Proc. Natl. Acad. Sci. USA 106:8665-70). Bei ausgewogener Ernährung kann man demnach getrost auf Vitaminpräparate verzichten. „Nach der bestehenden Datenlage sind die bestenfalls sinnlos, im Zweifelsfall sogar schädlich“.

Ein „Highlander“ wird man durch die ROS-Aktivierung aber nicht. Zwar gewinnt C. elegans auf diese Weise immerhin 10 bis 20 Prozent an Lebenszeit und kriecht ein paar Tage länger durch die Petrischale – doch in den Zellen Connor MacLeods muss noch irgendein anderes Geheimnis schlummern.




Letzte Änderungen: 13.02.2014