Editorial

Plectasin & Co.

von Valérie Labonté (Laborjournal-Ausgabe 7, 2010)


Pilz

Bevor einem Pilz Bakterien unter den
Hut kommen, schafft er sie sich
mit antibiotischen Substanzen vom Hals.
Foto: Gerti G./photocase.com

Antibiotika halten bei bakteriellen Infektionen die Eindringlinge in Schach, bis das Immunsystem sie in den Griff bekommt. Fatalerweise wurden Antibiotika in Medizin und Landwirtschaft derart massenhaft eingesetzt, dass Bakterien zunehmend Resistenzen entwickelt haben. Die Wirkstoffe wirken daher immer weniger – Alternativen müssen her.

Doch die wollen erst gefunden werden. Ein vielversprechender Kandidat für die Entwicklung eines neuen Antibiotikums ist Plectasin, ein kleines Peptid mit antibiotischer Wirkung aus dem Glänzenden Schwarzborstling (Pseudoplectania nigrella), einem saprophytischen Pilz, der in Nadelwäldern lebt. Das Team um Tanja Schneider und Hans-Georg Sahl von der Uni Bonn klärte nun in Zusammenarbeit mit Hans-Henrik Kristensen, Novozymes, Dänemark, den Mechanismus auf, nach dem Plectasin antibiotisch wirkt (Science 2010 May 28;328(5982):1168-72).

Dem Glänzenden Schwarzborstling dient Plectasin als Defensin, als Verteidigungssubstanz zur Abwehr mikrobieller Erreger. Es setzt, wie viele andere Antibiotika auch, an der Zellwandsynthese Gram-positiver Bakterien an. Allerdings zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nämlich solange sich die einzelnen Zellwandbausteine noch innerhalb der Zelle befinden.

Zwei dieser Bausteine, N-Acetylmuraminsäure und N-Acetylglucosamin, werden zum Aufbau der Zellwand nacheinander auf das in der Membran verankerte Trägermolekül Undecaprenolphosphat übertragen und es entsteht Lipid II. Plectasin bildet einen Komplex mit Lipid II und verhindert so den weiteren Zusammenbau der Zellwandbestandteile samt deren Übertrag auf die andere (äußere) Membranseite. Die wachsende Bakterienzelle kann keine funktionierende Zellwand aufbauen und hält deshalb dem osmotischen Druckgefälle zwischen Zellinnerem und -äußerem nicht stand. Schließlich platzt die Zelle.

Wie die Bonner herausfanden, wirkt Plectasin bakteriostatisch (wachstumshemmend) auf manche Stämme von Gram-positiven Bakterien, die gegen andere Antibiotika bereits resistent sind – darunter einige Streptokokken. Ein Plectasin-Derivat wirkt sogar gegen manche in Kliniken besonders gefürchtete Stämme von Staphylokokken, sogenannte Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), die zum Beispiel bei immungeschwächten Patienten schwere Wundinfektionen hervorrufen können.

Editorial

Editorial

In Deutschland ist ein Viertel der Infektionen mit S. aureus, die sich ein Patient im Krankenhaus zuzieht, auf MRSA zurückzuführen. Hochgerechnet sind das laut Robert-Koch-Institut etwa 45.000 Fälle pro Jahr, von denen knapp zehn Prozent tödlich verlaufen. Aufgrund unterschiedlicher Hygiene und Bekämpfungsstrategien sind die Quoten in europäischen Ländern aber sehr verschieden: in den Niederlanden und in Skandinavien liegen sie bei unter fünf Prozent, in England, Spanien und Italien bei 25-50 Prozent (www.rivm.nl/earss/database/).


Klassenweise resistent

Die MRSA-Stämme sind bereits gegen alle verfügbaren β-Lactam-Antibiotika wie etwa Penicillin, sowie gegen viele andere Klassen, wie Chinolone und Tetracycline, resistent. Lange galt Vancomycin, ein Glycopeptid-Antibiotikum, als noch sicher wirkende Reserve für die Behandlung von MRSA-Infektionen, doch inzwischen sind auch hier resistente Stämme aufgetaucht.

Von Plectasin erhoffen sich die Forscher aus einem weiteren Grund viel: Denn die Bildung von Kreuzresistenzen zwischen Plectasin und Vancomycin scheint unwahrscheinlich zu sein. Das heißt, dass Bakterien, die gegen einen der beiden Wirkstoffe resistent sind, nicht gleich auch gegen den anderen resistent sind – wie bei Penicillinen und Cephalosporinen –, da die Wirkmechanismen recht verschieden sind.

Aber es gibt noch andere Naturstoffe, die sich vielleicht als Ausgangssubstanz für neue Antibiotika eignen, wie etwa Closthioamid. Thorger Lincke, Christian Hertweck et al. vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) Jena hatten mit dessen Entdeckung einen doppelten Erfolg: Erstens hemmt die Substanz das Wachstum multiresistenter Staphylokokken, wenn auch mit bisher ungeklärtem Mechanismus. Zweitens konnten sie erstmals ein sekundäres Stoffwechselintermediat aus einem strikt anaeroben Bakterium, nämlich aus Clostridium cellulolyticum isolieren (Angew Chem Int Ed Engl. 2010 Mar 8;49(11):2011-3). Somit scheint nun generell die Tür geöffnet zur Wirkstoffsuche in anaeroben Bakterien.

Welche ökologische Funktion solche antibiotischen Stoffe in der natürlichen Umgebung haben, untersuchen derzeit die Forscher um Johannes Kroiss und Aleš Svatoš vom MPI für chemische Ökologie in Jena an insektenjagenden Grabwespen der Gattung Philantus. Diese sogenannten Bienenwölfe leben in Symbiose mit Streptomyceten.

Die Weibchen züchten diese Bakterien in ihren Antennendrüsen und verteilen sie an der Decke ihrer Brutzellen, von wo die Larven sie aufnehmen. Die Larven spinnen die Streptomyceten dann in ihre Kokons mit ein. Die Symbionten versorgen die Larven mit einer Mischung aus neun verschiedenen antibiotischen Substanzen, Streptochlorin und acht verschiedene Piericidine (Nat Chem Biol. 2010 Apr;6(4):261-3. Epub 2010 Feb 28). Mit diesem Cocktail sind die unterirdischen Nester der Grabwespen, die Larven selbst und ihre Vorräte vor mikrobiellem Befall geschützt. Dieses Prinzip, das die Überlebenschancen der Grabwespenlarven schon seit Millionen Jahren erhöht, ist in der Humanmedizin auch als Kombinationsprophylaxe bekannt.

Eignen sich diese neuen Substanzen tatsächlich als Medikamente, bleibt zu wünschen, dass Mediziner und Co. in Zukunft sorgsamer mit diesen Schätzen aus der Natur umgehen.



Letzte Änderungen: 09.08.2010