Editorial

Wnt-Signalweg

von Miriam Ruhenstroth (Laborjournal-Ausgabe 01, 2007)


Vor fast zwanzig Jahren tauchte mit dem Wachstumsfaktor wingless (wg) der erste Vertreter der wnt-Familie in der Zellbiologie auf. Neben wingless, benannt nach dem flügellosen Phänotyp der Deletionsmutante von Drosophila melanogaster, kennt man mittlerweile einen regelrechten wnt-Clan. Seine Mitglieder wurden bereits in Säugetieren, Insekten, Fischen, Fröschen und Nesseltieren gefunden und sind vermutlich im gesamten Tierreich vertreten. Als Signalmoleküle haben sie in fast allen zellulären Ereignissen irgendwie die Finger im Spiel.


Ein Familienporträt

1982 identifizierte die Arbeitsgruppe um Noel Nusse an der Stanford University das Gen int1 als ein mutmaßliches Proto-Onkogen der Maus (Cell 37, S. 99-109). Fünf Jahre später stellte sich heraus, dass int1 ein Homologon zum wg-Gen ist (Cell 50, 649-57). Der 1991 von Nusse vorgeschlagene Familienname wnt, aus wingless und int, trägt dieser Homologie Rechnung. Seither hat man allein bei Säugetieren neunzehn verschiedene wnt-Gene aus zwölf Unterfamilien gefunden.

Über 5000 in PubMed gelistete Artikel existieren bereits zu dem Thema - was ist daran so spannend? Wnt-Moleküle spielen nicht nur bei Ereignissen der frühen Embryonalentwicklung eine Rolle, wie zum Beispiel bei der Ausbildung von Körperachsen, Segmentpolarität oder Organanlagen; auch eine ganze Reihe Krankheiten werden inzwischen mit ihnen in Zusammenhang gebracht.

Die Mitglieder der wnt-Familie kodieren 300-400 Aminosäuren lange Glykoproteine. Durch Bindung an verschiedene Rezeptoren der Zelloberfläche lösen sie die sogenannten Wnt-Signalwege aus. Von ihnen ist der ß-Catenin-abhängige (kanonische) Signalweg am besten untersucht. In Abwesenheit von wnt-Molekülen wird ß-Catenin im Zytoplasma von einem Inaktivierungskomplex aus den Proteinen Axin, APC (Adenomatous Polyposis Coli) und GSK-3ß (Glycogen Synthase Kinase 3ß) phosphoryliert. Dadurch wird es für den Ubiquitin-abhängigen Abbau im Proteasom markiert. Nun bindet wnt an einen Rezeptorkomplex, bestehend aus den Transmembranproteinen Frizzled und LRP (Low Density Lipoprotein). Dies löst eine Konformationsänderung aus, welche den Inaktivierungskomplex aufspaltet. ß-Catenin akkumuliert im Zytoplasma und gelangt schließlich in den Zellkern, wo es mit dem T-Zell-Faktor (TCF) und Mitgliedern der LEF (Lymphoid Enhancer binding protein Factor)-Familie interagiert und die Transkription der Zielgene anregt.

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Mutationen in Proteinen der Wnt-Signalwege können drastische Folgen haben. Sie werden häufig mit Krebs, aber auch mit Nierenschäden, Knochenkrankheiten, Lungenfibrose und Schizophrenie in Zusammenhang gebracht. Eines der bekanntesten Beispiele ist der durch die Erbkrankheit FAP (Familiäre Adenomatöse Polyposis) ausgelöste Darmkrebs. Bei dieser Krankheit stört eine Mutation des APC-Proteins den Inaktivierungskomplex im kanonischen Signalweg. Dadurch akkumuliert ß-Catenin und der Wnt-Signalweg wird unkontrolliert aktiviert. Nun häufen sich die Hinweise darauf, dass der Wnt-Signalweg auch die Zelldifferenzierung steuert. Damit spielt er eine wichtige Rolle in der Regenerationsfähigkeit von Vielzellern.


Verstecktes Erbe

Die Suche nach dem Ursprung des mächtigen Protein-Clans führt zu den Cnidariern (Nesseltiere). Genetisch betrachtet haben Nesseltiere und Säuger erstaunlich viel gemeinsam, wie Thomas Holstein von der Universität Heidelberg erklärt. Untersuchungen zur genetischen Grundausstattung der ersten Metazoa lieferten überraschende Ergebnisse: Der Wnt-Signalweg ist in Nesseltieren nicht nur vorhanden, auch die aus Säugern bekannte Diversität der wnt-Familie existierte bereits, bevor sich Bilaterier und Cnidarier vor rund 650 Millionen Jahren trennten. Elf der zwölf beim Menschen gefundenen wnt-Unterfamilien kommen auch bei Nesseltieren vor (Nature 433, S. 156-160, 2005). Das genetische Toolkit, mit dessen Hilfe Polypen problemlos ein neuer Kopf wächst, ist also auch in Säugetieren noch vorhanden.


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Im Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien, hat die Gruppe um Juan Carlos Izpisúa Belmonte die Regenerationsfähigkeit verschiedener Tierarten – von Molch bis Huhn – im Zusammenhang mit dem Wnt-Signalweg untersucht. Im Experiment zeigten sie, dass Hühnerembryonen nach künstlicher Aktivierung der wnt-Signalkaskade einen ganzen Flügel vollständig regenerieren. Umgekehrt verlieren Tiere, wie etwa Molche, bei denen Gliedmaßen normalerweise problemlos nachwachsen, diese Fähigkeit nach Stillegung der wnt-Gene. (Genes&Development, 20(23) S. 323-27).

Elina Järvinen von der Universität Helsinki ist ein ähnlicher Nachweis bei der Erneuerung von Zähnen gelungen (PNAS 103(49) S. 18627-32). Nach künstlicher Aktivierung des Wnt-Signalweges im epithelialen Mundgewebe von Mäusen bildeten sich zahlreiche kleine, konische Zähne. Die Fähigkeit zur unbegrenzten Zahnerneuerung ging offenbar zugunsten eines komplizierteren Zahnaufbaus bei Säugetieren verloren – die genetische Grundlage ist aber noch vorhanden.

Auch Vögel haben die Fähigkeit zur Zahnbildung nur stillgelegt. Matthew Harris von der Universität Wisconsin beschreibt eine Hühnermutante, die einfache Zähne entwickelt. Durch Aktivierung von ß-Catenin löste er die frühen Stadien dieser Zahnentwicklung auch bei Wildtyp-Hühnerembryonen aus (Current Biology 16, S. 371-77, 2006). Die Hoffnung auf die dritten Zähne per Injektion hat allerdings auch Schattenseiten. Denn der Wnt-Signalweg regt das Tumorwachstum ebenso an, wie das neuer Gliedmaßen. So treten bei zehn bis zwanzig Prozent aller FAP-Patienten Odontome (Zahntumore) auf.

Alles rund um wnt kann man auf der wnt-Homepage von Roel Nusse nachlesen.





Letzte Änderungen: 15.03.2007