Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-13 und 14, Update vom 17. März 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

editorial_bild

Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Die Einschätzung Storchs, die Daten der Kinetik in Figur 6a könnten nicht aus realen Experimenten stammen, ging an Frau Beisiegel. Die stellte sich auf den Standpunkt, die Zahlen seien nun einmal so aus dem Counter gekommen, das könne sie auch nicht ändern. Sie könne nur die Originaldaten zur Verfügung stellen und das habe sie getan. Sie wolle aber gern die Statistikprobleme mit Herrn Storch diskutieren.

 

Herr Storch jedoch kann sein Inkognito nicht lüften, da er in eine Geschichte verwickelt ist, der Frau Beisiegel vorsitzt. Da hilft es auch nichts, daß die beiden sich nicht persönlich kennen.

Der Laborjournal-Reporter beschloß, einen weiteren Statistiker zu Rate zu ziehen. Das erwies sich als schwierig. „Die Frau ist mächtig“, sagte der erste und lehnte ab und die nächsten zwei taten desgleichen. Der vierte endlich, Hugo Habicht, sagte zu - freilich unter der Bedingung der Anonymität. Er erhielt das Gutachten Storchs, die Publikation Heeren et al und Heerens Originaldaten zur Kinetik. Nach zwei Tagen war Herr Habicht zu einem Ergebnis gekommen.

In Kürze: Es ist durchaus möglich, daß die Daten der Figur 6a einem Experiment entstammen. Dies deswegen, weil die Werte voneinander abhängen. So hängt beispielsweise der Wert bei 10 Minuten vom Wert bei fünf Minuten ab: Der Wert bei 10 Minuten ist ja die Summe des Wertes bei fünf Minuten plus der in den nächsten fünf Minuten von der Leber abgegeben cpm. Der Wert bei 15 Minuten wiederum hängt von den Werten bei 5 Minuten und zehn Minuten ab usw. usf. Daher sei es nicht erstaunlich, daß man eine recht genaue Approximation einer Hyperbel und kleine Standardabweichungen erhalte. Habicht hat dies mit Zufallszahlen nachgerechnet und entsprechende Ergebnisse erhalten.

 

Hugo Habicht ausführlich:

„1. Wegen der hohen Counts sind die StandardFEHLER sehr klein.

2. Die Auftragung ist kumulativ. Die aufgetragenen Werte sind voneinander abhängig. Z.B. der vierte Wert hängt von den drei davor ab und muss größer sein als der dritte. Die gezeigten Kurven (und auch Fig.6A in Heeren et al., The Journal of Biological Chemistry 2001) können durchaus einem Experiment entstammen.

3. Die besagte Fig.6a ist nicht sehr glücklich. Sie beruht auf den Werten von RAT 1, 2 und 4 wie in der Abbildung. In der Abbildung werden zu jedem Zeitpunkt drei Zahlen wiedergegeben (RAT 3 ist hier nicht berücksichtigt - Kommentar zur Ratte 3 folgt noch).

habicht rat

Damit hat man das gesamte Experimente im Blick. In Fig.6A werden auch zu jedem Zeitpunkt 3 Zahlen gezeigt: Der Mittelwert sowie Ober- und Unterkante der Standardabweichung. In Abb. 6A wurde also keine Datenreduktion erzielt; das Experiment ist

auch nicht übersichtlicher oder didaktisch besser dargestellt; eher im Gegenteil. Noch etwas zur Standardabweichung: sie ist eine sinnvolle Größe, wenn man viele Meßwerte hat und diese normalverteilt sind. Wenn man nur drei Meßwerte hat, kann man das nicht überprüfen. Die können zu jeder Verteilung passen.

4. Die 3. Ratte: Mit den in der Tabelle genannten Daten läßt sich obige (blaue) Kinetik berechnen. Die passt qualitativ gut ins Bild; quantitativ passt sie nicht so gut. Das muss die Aussage der Fig.6a nicht schmälern. Dass Ratte 3 in Fig. 6A fehlt ist aber schade und etwas unsauber, zumal in der Legende steht, dass 4 Ratten im Experiment waren.“

Soweit Hugo Habicht.

 

 

Adebar Storch findet weitere Auffälligkeiten


Dem Laborjournal-Reporter leuchtete Habichts Argument mit der Abhängigkeit der Werte ein, dennoch hatte er einige Fragen an Jörg Heeren:

- War die Radioaktivitätsverteilung in der Leber gleichmäßig?

Heeren sinngemäß: In dem Experiment, das zu Figur 6a führte, wurde das nicht geprüft. Er habe dies jedoch in anderen Experimenten mit Mauslebern geprüft und auch Coautor Jäckle sei in früheren Experimenten in den USA zu diesem Schluß gekommen.

- Wie kam es zu großen Differenzen zwischen Ratte 1 und Ratte 4 in der 125I markierten apoE/LPL-TRL Aufnahme?

Heeren erklärt dies mit Problemen bei der Injektion der Substanz (er habe teilweise daneben gespritzt). Heeren sprach zuerst von einer Injektion in die Schwanzvene, berichtigte sich aber auf Nachfrage: injiziert wurde in die venae portae.

- Wieso mißt Jörg Heeren 0 Counts zum Zeitpunkt 0? Ein g-Counter mißt selten genau 0 Counts, nicht einmal dann wenn man nur ein leeres Röhrchen in das Gerät stellt.

Jörg Heeren: „Es ist richtig, dass hier kein Leerröhrchen gemessen wurde und die Zahl Null zum Zeitpunkt 0 min willkürlich gesetzt wurde. Wir haben in dem noch heute genutzten gamma-Counter über die Jahre mit den gleichen eingesetzten Zählröhrchen immer eine Hintergrundaktivität zwischen 0 und 10 cpm. Eine Subtraktion der Hintergrundaktivität der Leerröhrchen bei den gemessenen hohen cpm Werten hätte also das Ergebnis nicht verändert.“

Nach Erachten des Laborjournal-Reporters ist dies Vorgehen nicht ganz sauber. Es handelt sich ja nicht nur um die Leercounts der Röhrchen, sondern zusätzlich um die noch aus der Leber mit dem Heparinwasch leckende Restradioaktivität. Die dürfte zwar gegen Null gehen, die Null aber nie erreichen, jedenfalls nicht im Zeitrahmen des Experiments. Dennoch hat Heeren recht, wenn er schreibt, daß eine Berücksichtigung dieser Counts am Ergebnis nichts ändere.

- Schließlich fragte der Laborjournal-Reporter Jörg Heeren: Auf Seite 42336 in den Results sagen Sie, daß 50% der Radioaktivität recyclisiert würde. Sie kommen zu dieser Zahl, weil Sie als "internalisiert" die counts definiert haben, die nach dem Chase noch in der Leber sitzen. Müßte man nicht zu diesen counts noch die mit dem Chase herausgewaschenen counts zählen? Das "internalisiert" wäre dann ungefähr doppelt so groß und die Recyclisierung betrüge nur 25%.

Jörg Heeren: „Wir haben in dieser Publikation in der Tat das Recycling aus dem Perfusat in Relation zur internalisierten Radioaktivität zu dem Zeitpunkt nach Perfusion gesetzt. Nach ihrer Berechnung würden wir dann auf Recyclingraten von ca. 30% bei der Leberperfusion kommen. Allerdings werden wesentlich mehr Lipoproteine an den Proteoglykanen gebunden, als dann wirklich internalisiert werden und es können natürlich nur die HDL-induziert re-sezerniert werden, die vorher internalisiert wurden, insofern halten wir den Bezug zu den internalisierten Partikeln für richtig.“


Kommentar des Herrn Storch: Das ist totaler Quatsch. Wenn die „internalisierte“ Radioaktivität als Bezugspunkt definiert wird, also das, was nach dem Waschen mit Heparin in der Leber drin ist (100%), und dann geschaut wird, was von dem internalisierten Stoff recycliert und ausgeschieden wird (ca. 50%), wird der Bezugspunkt verändert. Dadurch, dass der (verminderte) Bezugspunkt herangezogen wird, vergrößert man die Recyclierungsraten unzulässig!

 

Soviel zu der Kinetik in Figur 6a. Leider war die Sache damit nicht beendet.

 

 

Hinweis: Falls Sie Kommentare, Bemerkungen, oder Beobachtungen zu dieser Serie lesen oder gar selber loswerden wollen, können Sie das unter dem gleichnamigen Beitrag in unserem Laborjournal Blog gerne tun.

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

Dalla Pu


Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010