Editorial

Kaffee-Effekte

(05.01.2024) Wie versabberter Kaffee zu ungeahnten neuen Erkenntnissen führte. Und was das mit der Bedeutung reiner Grundlagenforschung zu tun hat.
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Seit jeher wird in der Forschung viel Kaffee getrunken. Anzunehmen daher, dass der Kaffeeringeffekt dort etwa genauso lange bekannt ist – wenigstens als Beobachtung. Oder haben Sie etwa noch nie die ringförmigen Ablagerungen wahrgenommen, die verschüttete Kaffeetropfen beim Trocknen auf allen möglichen Oberflächen hinterlassen? Eben! Und womöglich mag der eine oder die andere auch mal gedacht haben: „Oh, wie hübsch!“ Oder gar aufgemerkt nach dem Muster: „Hey, das ist schon irgendwie interessant, welche Muster der Kaffee hier macht“. Aber viel mehr Beschäftigung war damit offenbar lange Zeit nicht.

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Ratlose Ingenieure

Das änderte sich erst Ende der 1990er, als Robert Deegan und Kollegen von der University of Chicago sich fragten, wieso die Flecken, die von getrockneten Kaffeetropfen zurückblieben, ausgerechnet an den Rändern dunkler waren – statt gleichmäßig gefärbt, wie man das eher erwarten würde. Also untersuchten sie das Phänomen und fanden, dass während der Verdunstung nach außen gerichtete Kapillarflüsse die Schwebeteilchen des Kaffeesatzes bei gleichbleibender Tropfenfläche stets nach außen treiben. Am Ende konnten sie mit ihren Kaffee-Daten sogar ein mathematisches Modell formulieren, das die Verdunstung kolloidaler Flüssigkeiten allgemeingültig beschreibt. Das von Deegan et al. darüber verfasste Paper wurde bis heute knapp 7.000-mal zitiert (Nature 389: 827-29).
Nun basieren viele Anwendungen darauf, dass Flüssigkeiten gleichmäßig auf der von ihnen bedeckten Fläche eintrocknen sollen – zum Beispiel der Tintenstrahldruck. Und tatsächlich kämpften hierbei schon lange viele Ingenieure gegen die arg störenden Effekte dieses Kaffeeringeffekts. Eine echte Lösung hatten sie bis dahin jedoch nicht gefunden. Die fanden sie erst, als sich neugierige Grundlagenforscher über Kaffeeflecken gewundert hatten – und ihnen mit ihren Erkenntnissen völlig unerwartet den Schlüssel dazu lieferten.

Austrocknungs-Risiko

Womit endlich auch klar geworden sein dürfte, warum wir dieses Beispiel hier derart ausbreiten: Als Warnung! Denn was würde man riskieren, wenn man der zweckfreien Grundlagenforschung immer mehr Fördergelder abzieht, um sie umso stärker der sogenannten angewandten Forschung zuzuführen? Man würde damit wohl auch den Boden für solche Kaffee-Erfolgsgeschichten immer weiter austrocknen.
Ralf Neumann

(Illustration: Designed by Freepik)

 

 

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Letzte Änderungen: 04.01.2024