Editorial

Suche nach dem
verlorenen Enzym

(02.01.2024) Bei Tieren muss die Ausbreitung von Transposons im Genom streng kontrolliert werden. Dabei helfen kurze RNAs, an deren Herstellung ein neuartiger Enzymtyp beteiligt ist.
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Gegen Krankheitserreger von außen schützt uns unser Immunsystem. Aber was ist mit den Gefahren, die bereits in uns lauern – genauer gesagt in unserem Genom? Denn Überreste transponierbarer Elemente können als springende Gene erheblichen Schaden anrichten. So sind sie in der Lage, sich selbst zu kopieren und dafür zu sorgen, dass ihre Kopien an einer Zufallsstelle im Genom eingefügt werden. Durch diese Zufälligkeit bei der Integration beschleunigen Transposons zwar die Evolution, machen mobile genetische Elemente aber auch gefährlich: Dort, wo die parasitische DNA landet, kann sie Gene oder Kontroll­elemente wie Promotoren, Enhancer und Silencer zerstören. Auf höherer Ebene kann ein DNA-Rearrangement die Replikation stören, Rekombinationen verursachen und damit die Genomstabilität gefährden. Besonders problematisch ist das in der Keimbahn. Selbst kleine Schäden werden zwangsläufig an die nächste Generation weitergegeben und häufen sich an. Keimzellen müssen die Ausbreitung von Transposons daher strikt kontrollieren.

Eine der Kontrollstrategien in Tieren basiert auf kurzen piRNAs. Deren etwa 20 Nukleotide langen Sequenzen erkennen die Transkripte aktiver Transposons über Basenpaarung. An die piRNAs gebundene PIWI-Proteine spalten dann entweder die identifizierten Transkripte oder schränken die Expression von Transposon-Genen anderweitig ein. Das Ganze ist mit Genscheren vergleichbar: Auch deren Cas-Proteine sind auf ihre CRISPR-RNAs angewiesen, die die Sequenz­spezifität vermitteln.

Editorial

„Ist der piRNA-Weg gestört, werden betroffene Tiere unfruchtbar. Ohne piRNA kein tierisches Leben“, sagt René Ketting, der als Direktor am Institut für Molekulare Biologie in Mainz die piRNA-basierte Transposon-Abwehr in der Keimbahn insbesondere beim Fadenwurm Caeno­rhabditis elegans und beim Zebra­bärbling Danio rerio erforscht. „Allerdings gibt es Ausnahmen“, ergänzt er: „Manche Tiere haben die piRNA-Antwort verloren und verlassen sich auf alternative Mechanismen.“

Da Ketting mit seiner Arbeitsgruppe vor allem auf Genom­ebene arbeitet, kooperiert er zur Erforschung des piRNA-Wegs mit Sebastian Falk, der an den Max Perutz Labs der Universität Wien als Assistenzprofessor tätig ist. Als Biochemiker kommt sein Team dann zum Einsatz, wenn Kettings Genetiker ihre Arbeit getan haben: „Sind neue Faktoren identifiziert, versuchen wir, das System zu rekonstruieren, also Strukturen von Proteinen und Proteinkomplexen aufzuklären und zu untersuchen, wie sie zusammenarbeiten“. Gemeinsam haben die Mainzer und Wiener nun einen neuartigen Enzymtyp entdeckt, den sie PUCH nannten, und mit ihm eine Lücke im Verständnis der piRNA-Herstellung bei C. elegans geschlossen (Nature, 622(7982): 402-9).

Fehlende Enzyme

„Der Mechanismus, dass eine piRNA einem gebundenen PIWI-Protein seine Spezifität verleiht, ist stark konserviert“, sagt Falk. „Der Weg, wie piRNAs hergestellt werden, unterscheidet sich dagegen zwischen Organismen. Für C. elegans war bisher unbekannt, wie das RNA-5‘-Ende hergestellt wird, weil die Enzyme fehlen, die das etwa in der Maus oder der Taufliege übernehmen.“ Tatsächlich hatten Forschende schon lange vergeblich nach diesen Enzymen gesucht. Ein Blick in die Publikation macht den Grund dafür klar; auch Falk überraschte er: „Wir fanden keine normale Nuklease, sondern eine Kombination aus drei Proteinen mit sogenannten SCHLAFEN-Domänen. Diese Proteine existieren auch in höheren Eukaryoten, aber wir haben jetzt gezeigt, dass sie evolutiv älter sind.“ Über ihre Funktion wisse man allerdings nicht viel, fügt Ketting hinzu: „Bei höheren Eukaryoten scheinen sie meist mit dem Immunsystem in Verbindung zu stehen und vor allem die Replikation von Viren zu unterdrücken.“ Interessant sei auch, dass SCHLAFEN-Proteine oft in mehreren Varianten im Genom vorkommen. Ihre hohe Variabilität deutet der Genetiker als ein Zeichen für intensive Anpassungsprozesse an neue Viren. „Wie sie arbeiten, ist aber nicht verstanden“, schränkt er ein. „Unser Fund deutet darauf hin, dass die Bildung von Multimeren verschiedene Aktivitäten ermöglichen könnte“.

Aus 3 mach 1

Die ersten beiden PUCH-Komponenten – die Proteine TOFU-1 und TOFU-2 – waren bereits aus einem RNA-Interferenz-Screen eines US-amerikanischen Forschungsteams bekannt: Fehlen sie, fällt auch die piRNA-basierte Transposon-Abwehr aus (Genes Dev, 28(7): 797-807). Kettings Gruppe bewies, dass TOFU-1 und TOFU-2 zwar miteinander interagieren, jedoch über keinerlei Ribo­nuklease-Domänen verfügen. Stattdessen enthielten beide Proteine jeweils eine SCHLAFEN-Domäne. Zusätzlich fand Doktorandin Nadezda Podvalnaya per Immun­präzipitation zwei weitere Interaktionspartner (SLFL-3 und SLFL-4) mit redundanter Funktion. Zusammen mit Postdoktorand Walter Bronkhorst demonstrierte sie, dass sowohl SLFL-3 als auch SLFL-4 mit TOFU-1 und TOFU-2 funktionsfähige Trimere bilden. Doch damit nicht genug: Auch SLFL-3 und SLFL-4 besitzen SCHLAFEN-Domänen. Erst die drei SCHLAFEN-Domänen des Trimers gemeinsam besitzen eine Ribo­nuklease-Funktion. Ist nur einer der PUCH-Bestandteile ausgeschaltet, werden keine piRNAs mehr hergestellt.

Um die Funktionalisierung des piRNA-Wegs zu visualisieren, nutzen die Mainzer Genetiker einen selbst konstruierten piRNA-Sensor. „C. elegans lässt sich aufgrund seiner geringen Größe und Durch­sichtigkeit sehr gut mikroskopieren“, sagt Ketting. Ihr piRNA-Sensor besteht deshalb aus einem Transgen, das für ein rotfluoreszierendes Protein codiert. Es wird von einer spezifischen piRNA erkannt und im Normalfall zerstört, sodass keine Fluoreszenz nachweisbar ist. Bei einem gestörten piRNA-Weg wird das fluoreszierende Protein hingegen gebildet, und der Wurm leuchtet rot im Mikroskop. Die Auswirkung eines Genverlusts lässt sich direkt nachweisen. „Natürlich haben wir in Tieren mit und ohne PUCH auch die kleinen RNAs sequenziert“, ergänzt der Genetiker und schildert, dass das Ergebnis erfreulich schwarz-weiß ausfiel: „Fehlte PUCH oder war es defekt, fanden wir auch keine piRNAs mehr. Alle anderen Typen kleiner RNA blieben dagegen unbeeinflusst“.

Eine Frage der Kappe

Doch was genau macht PUCH mit welcher RNA als Substrat? Hier kommen die Wiener um Sebastian Falk ins Spiel: „Die Vorläufer von piRNAs tragen ähnlich wie mRNAs eine Kappe, die bei ihnen aber im Reifeprozess entfernt werden muss. Damit eine Ribonuklease zwischen piRNA und mRNA unterscheiden kann, verfügen ihre Kappen über unterschiedliche Methylierungsmuster“, erklärt der Biochemiker. Bei Vorhandensein einer piRNA-Kappe werden die ersten beiden Ribonukleotide vom 5‘-Ende abgeschnitten, sodass aus einem Uridin an Position 3 des Vorläufermoleküls das 5‘-Ende wird. Dieses 5‘-Uridin ist laut der Wiener unerlässlich für die Aktivität von PUCH. Das Gleiche gilt für die 7-Methyl-Guanosin-Kappe der Vorläufer-piRNA. „PUCH ist ein hochspezifisches Enzym, das keine anderen Substrate erkennt“, fasst Falk zusammen. Ketting fügt hinzu: „Das war unerwartet. Ich persönlich hatte vermutet, dass ein anderes Enzym PUCH die richtigen Substrate zuführt“.

Warum Mitochondrien?

Ungelöst ist hingegen das Rätsel, warum sich PUCH über eine Trans­membran­domäne in die Membran von Mitochondrien verankert. Fehlt die Trans­membran­domäne, ist auch die Menge an reifen piRNAs stark reduziert – wie das Forscher-Duo aus Ketting und Falk experimentell nachwies. Trotzdem glauben die Forscher nicht, dass dies an einer fehlenden PUCH-Aktivität liegt und vermuten stattdessen Probleme bei der Beladung der PIWI-Proteine mit den piRNAs: „Wir fanden nämlich keine Anhäufung von Vorläufermolekülen, wie sie typischerweise auftritt, wenn PUCH inaktiv ist oder fehlt“, fasst Ketting zusammen.

Auch die Tatsache, dass beide bekannten piRNA-Ribo­nukleasen trotz unterschiedlicher Funktionsmechanismen in der Mitochondrienmembran sitzen, findet Falk spannend: „Das ist ein schönes Beispiel für konvergente Evolution. Stellen die Mitochondrien vielleicht eine Art Kondensationsplattform bereit, auf der die beteiligten Enzyme in Kontakt kommen? Prinzipiell könnte das aber auch an anderen Oberflächen geschehen. Was macht Mitochondrien also dafür besonders?“ Hier lässt sich nur spekulieren. Fest steht allerdings: Die Interaktion zwischen PUCH und den PIWI-Proteinen ist ein entscheidender Faktor. Gelangten nämlich reife piRNAs nach ihrer Prozessierung durch PUCH einfach ins Cytoplasma, wären sie infolge ihres 5‘-Phosphats ein perfektes Substrat für klassische 5‘-Exoribo­nukleasen. Wie piRNAs von PUCH an die PIWI-Proteine übergeben werden, ist aber auch in anderen Organismen noch unbekannt.

Dem Mysterium der Lokalisation von PUCH wollen Falk und Ketting unbedingt gemeinsam auf die Spur kommen: „Es wird sicherlich eine Herausforderung, die RNA-Biologie mit der Rekonstitution mehrerer Membranproteine zu kombinieren“, erwartet Falk. Helfen soll ihnen dabei ein rekombinantes mini-PUCH mit verkürzten Proteinsequenzen. Außerdem will das Duo den Aktivitätsmechanismus von PUCH aufklären: „Wie sieht sein aktives Zentrum aus, und wie erkennt es Cap und Uridin? Wie entsteht seine Spezifität, und wie interagiert es mit dem Proteinkomplex PETISCO, der ihm wie eine Art Schneidebrett piRNA-Vorläufer präsentiert?“, zählt Falk einen Teil ihrer Fragen auf. Ketting möchte sich außerdem die anderen Domänen von TOFU-1 und TOFU-2 anschauen, deren Aufgaben ebenfalls unbekannt sind. „Zudem möchte ich untersuchen, mit welchen Proteinen SCHLAFEN-Domänen in Säugerzellen interagieren“, sagt der Genetiker: „Wenn wir Glück haben, finden wir dort eine ganz neue Biologie.“

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/lucasgeorgewendt (Lupe) & Podvalnaya N. et al.

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal 12/2023.


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Letzte Änderungen: 02.01.2024