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Oh Tannebaum, wie grün sind Deine Blätter

(18.12.2023) Kein Weihnachten ohne Weihnachtsbaum. Wobei es sich dann oft um eine Gemeine Fichte handelt. Und die kann mehr als nur schön aussehen.
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Für die meisten Menschen gehört zu Weihnachten ein Weihnachtsbaum. Dabei ist dieser Brauch schon viel älter als das christliche Weihnachtsfest. Vermutlich geht er zurück auf die Tradition verschiedener alter Kulturen aus Ägypten, China, Israel und dem nördlichen Europa, im kargen Winter etwas Grünes in die eigene Wohnstatt zu holen. Nadelbäume haben hier den Vorteil, dass sie – von Ausnahmen abgesehen – ihre zu Nadeln umgestalteten Blätter im Winter nicht abwerfen.

In vielen Wohnzimmern steht im Dezember aber entgegen dem bekannten Weihnachtslied kein Tannenbaum aus der Gattung Abies, sondern eine Gemeine oder Rotfichte (Picea abies). Diese einzige in Mitteleuropa natürlicherweise wachsende Fichten­art ist unter anderem in den Alpen – und damit auch in einem Teil Deutschlands – heimisch. Weil sie sehr schnell wächst und damit preiswert ist, war die Rotfichte lange Zeit Deutschlands beliebtester Weihnachtsbaum. Inzwischen macht ihr die Nordmann-Tanne, deren Nadeln deutlich weniger piksen, diesen Titel streitig. Aber der typische Duft nach Nadelbaum bleibt ein starkes Argument für den Kauf einer Rotfichte.

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Zur Nachahmung empfohlen

Mit dem Weihnachtsbaum sind je nach Region und Familie verschiedene Traditionen verknüpft. Dazu gehört beispielsweise der Schmuck aus Kugeln, Holzfiguren, Lametta und wahlweise auch Süßigkeiten. Bei der Frage, ob an den Baum echte oder elektrische Kerzen gehören, scheiden sich die Geister. Unbestritten ist dagegen, dass zum Weihnachtsbaum Weihnachtslieder gehören. Aber ist der Brauch wirklich mit gutem Gewissen zu empfehlen? Zwei Psychologen der Unis in Dresden und Marburg haben in ihrem letztjährigen Weihnachts­editorial für die Zeitschrift Clinical Psychology in Europe eine klare Empfehlung dafür ausgesprochen (4: e10841).

Um es kurz zu machen: Laut der Analyse von Philipp Kanske & Winfried Rief hat Singen – insbesondere wenn es in einer Gruppe geschieht – nur positive Effekte! So hebt es die Stimmung, und durch gemeinsames Singen entsteht darüber hinaus ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Letzteres kennen wohl die meisten Menschen – aus der Kirche, vom Oktoberfest oder einer Demo, wo sich plötzlich ein Gefühl der Verbundenheit mit völlig Fremden einstellen kann. Den Grund hierfür verraten die Psychologen in ihrem Editorial: Zum gemeinsamen Singen sei ein hohes Maß an sozialer Koordination notwendig. Für ein gutes Klangresultat muss man anderen zuhören und den eigenen Gesang anpassen können. Einen weiteren Effekt macht sich unter anderem die Kirche zunutze. Singen verbessert laut Kanske & Rief nämlich die Fähigkeit zur Empathie und damit den Wunsch anderen zu helfen.

Und das sind längst noch nicht alle Vorteile des gemeinsamen Singens: Lieder, die wir aus der Kindheit kennen, können Stress reduzieren und uns bei der Regulierung von Emotionen helfen. Darüber hinaus erhöht Singen die Ausschüttung von Immun­globulin A und stärkt damit die Immunabwehr. Verschiedene Publikationen zeigen, dass Singen in der Gruppe außerdem gegen Depressionen hilft, Demenz­patienten gut tut und selbst verschiedene körperliche Beschwerden mildern kann. Risiken und Nebenwirkungen sucht man dagegen vergeblich.

Neue Aufgabe für ausgediente Bäume

Aber irgendwann ist auch das schönste Weihnachtsfest vorbei und ein Großteil der zuvor in Europa gefällten 50-60 Millionen Weihnachtsbäume landet auf dem Müll oder dient bestenfalls noch als Feuerholz. Eine bessere Verwendung schlägt ein spanisch-polnisches Forschungsteam vor. Bartosz Tylkowski et al. wollen P. abies nutzen, um daraus antiproliferative Verbindungen für die Krebsprävention zu isolieren (Molecules, 27(19), 6553). Angedacht sind etwa Zahnpflegeprodukte, die der Entstehung von Tumoren in der Mundhöhle und im Hals-Nasen-Ohren-Bereich vorbeugen sollen.

Im Jahr 2020 sind an derartigen Erkrankungen weltweit zusammengenommen immerhin rund 225.000 Menschen verstorben, wobei Männer etwa generell doppelt so häufig betroffen sind wie Frauen. Da Strahlen- und Chemotherapie starke Nebenwirkungen verursachen, wird intensiv nach weniger belastenden Therapie­ansätzen gesucht. Biologisch aktive Substanzen wie Flavonoide und andere Polyphenole mit ihrer bekanntermaßen antiproliferativen, antientzündlichen, antioxidativen und antibakteriellen Wirkung könnten eine solche Alternative darstellen. Und zufällig sind die Nadeln der Rotfichte ziemlich reich an diesen Verbindungen.

Das von Tylkowski et al. entwickelte Verfahren erzeugt einen Nadelextrakt, der direkt in einer alkoholfreien Mundspülung eingesetzt werden kann. Er enthält sechs nachweisbare biologisch aktive Verbindungen, von denen das Flavonoid Luteolin das häufigste ist. Für Luteolin wurde schon früher eine Wirkung gegen das squamöse Zellkarzinom gezeigt, die bösartigste und mit Abstand häufigste Form von Krebs in der Mundhöhle. In Experimenten reduzierte der Nadelextrakt die Überlebensfähigkeit von Zellen einer Zelllinie dieser Krebsart um mehr als 50 Prozent. Gleichzeitig war die Toxizität gegenüber gesunden Zellen sehr gering. Die Wirksamkeit der Extrakte soll nun auch für eine adjuvante Krebstherapie getestet werden.

Weihnachten ohne Baum?

Bei diesen guten Aussichten können wir nur hoffen, dass uns der Nachschub an Weihnachtsbäumen nicht bald ausgeht. Denn als Bewohnerin der nordischen Nadelwälder Skandinaviens und Russlands sowie der Alpen und des Hochharzes ist die Rotfichte an kaltgemäßigtes Klima angepasst. Der Trend zu heißeren und trockeneren Sommern in Mitteleuropa macht ihr bereits deutlich zu schaffen. Zwar wird der Baum des Jahres 2017 heute als forstwirtschaftlich bedeutsamer Baum an vielen Standorten außerhalb ihres eigentlichen Wohlfühlbereichs angebaut, doch dort ist sie für abiotische Störungen anfällig. So konnte in den Jahren 2018-2020 mit seinen Hitzewellen und Dürren vielerorts ein ausgeprägtes Fichtensterben beobachtet werden. Vom Trockenstress profitiert dann der Borkenkäfer, der Fichten besonders gerne befällt und einen ihrer bedeutsamsten Schädlinge darstellt. Aber auch eine Reihe von pathogenen Pilzen, Bakterien und Viren können geschwächte Bäume zusätzlich schädigen.

Eine wichtige Rolle für die Pathogenabwehr des Baums spielt das spezifische Mycobiom, also die Gesamtheit aller Pilze, die ihn natürlicherweise besiedeln. Das Mycobiom der Rotfichte hat sich deshalb ein Team der Abteilung Forstbotanik und Baumphysiologie der Universität Göttingen im Phloem und in der Wurzel angeschaut und dieses dann bei Bäumen mit und ohne Trockenstress verglichen (BMC Microbiol, 23: 350). Im Mittelpunkt bei dieser Arbeit stand die Resistenz der Bäume gegen den pathogenen Pilz Heterobasidion parviporum. Es stellte sich heraus, dass das Mycobiom durch genetische Faktoren des Baums, aber vor allem durch Umweltfaktoren geformt wird.

Bleibt also die Hoffnung, dass sich das Mycobiom an Trocken- und Hitzestress anpassen und der Fichte damit zukünftig eine größere Widerstandsfähigkeit gegen abiotischen Stress und Krankheitserreger verleihen kann. Damit wir auch in den nächsten Jahren noch gemeinsam unter einem Weihnachtsbaum „Oh Tannebaum“ singen können.

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/_Alicja_


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Letzte Änderungen: 18.12.2023