Editorial

Nervige Verschwendung

(15.12.2023) Manuskripte von Forschungsartikeln immer wieder neu zu formatieren, ist nicht nur nervig. Es kostet auch richtig viel Geld. Dabei könnte es eigentlich überflüssig sein.
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„Mein Vollzeitjob besteht gerade darin, abgelehnte Manuskripte für eine andere Zeitschrift neu zu formatieren – und mich dabei superproduktiv zu fühlen.“

Viele werden sich wiederfinden in diesem nicht ganz ironiefreien Tweet, den der Ernährungsphysiologe Katsu Funai von der University of Utah Anfang des Jahres abschickte. Und er ist bei weitem nicht der Einzige, der auf Twitter über den enormen Zeitaufwand klagt, den es kostet, wenn man ein Manuskript, das man gemäß den Anforderungen einer Zeitschrift formatiert hat, für die Zweiteinreichung bei einer anderen Zeitschrift in ein völlig anderes Format umarbeiten muss.

„Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie lange es dauert, Artikel für Zeitschrifteneinreichungen neu zu formatieren?“, fragte daher Megan Davies, Postdoc in der Epidemiologie der Universität Kopenhagen, ebenfalls auf Twitter (heute X). Und fuhr fort: „Wir haben uns das gefragt und beschlossen, darüber zu schreiben! Wir haben die verlorene Zeit und das verlorene Geld berechnet sowie Editoren und Forscher befragt – und einige neue Vorschläge für Formatierungsrichtlinien entwickelt.“

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Milliardenaufwand

Das Ergebnis ist nachzulesen in dem Paper mit dem Titel „Saving time and money in biomedical publishing: the case for free-format submissions with minimal requirements“ (BMC Medicine 21: 172), bei dem Megan Davies als Co-Autorin fungiert. Demnach registrierten Seniorautor Tibor Varga und sein Team zunächst einmal unter „302 führenden biomedizinischen Fachzeitschriften […] eine große Vielfalt an Anforderungen für Einreichungen“. Und stellten nachfolgend fest:

„Nach Erfassen der Durchschnittsgehälter von Forschenden in der Europäischen Union und den USA sowie der Zeit, die für die Neuformatierung von Artikeln aufgewendet wird, schätzen wir, dass allein im Jahr 2021 etwa 230 Millionen US-Dollar durch die Neuformatierung von Artikeln verloren gingen. Sollte die derzeitige Praxis in diesem Jahrzehnt unverändert bleiben, könnten zwischen 2022 und 2030 rund 2,5 Milliarden US-Dollar dazukommen – und zwar allein durch die Neuformatierung von Artikeln nach einer sofortigen Editorial Desk Rejection.“

Grundlage für die Berechnung waren durchschnittlich eine Ablehnung pro publiziertem Paper, sowie ein mittlerer Zeitaufwand von vier Stunden für die Neuformatierung bei einer Spannweite von einer bis zu vierzehn Stunden.

Sinnlos, unnötig, nervig

Diese Dimensionen sind jedoch keineswegs neu. Im Jahr 2019 berechnete etwa ein kanadisches Autorenteam die gesamte Zeit, die nur für die Formatierungsarbeit von Manuskripten draufgeht – also für Erst- und Neuformatierungen (PLoS ONE 14(9): e0223116). Am Ende kam heraus, dass Forscherinnen und Forscher in den medizinischen Wissenschaften pro Jahr durchschnittlich 52 Stunden ihrer Arbeitszeit für das reine Formatieren von Manuskripten aufwenden. Dies wiederum entspreche mittleren Kosten von 477 US-Dollar pro Manuskript oder 1.908 US-Dollar pro Person und Jahr.

Kein Wunder, dass die Betroffenen hierin eine unnötige, sinnlose und vor allem auch nervige Verschwendung von Zeit und Geld sehen. Und nicht nur Forscherinnen und Forscher sehen das so, sondern inzwischen auch viele hauptamtliche Editoren. Einen von ihnen zitiert das Paper von Varga et al. etwa folgendermaßen:

„Jede Woche haben wir neue Diskussionen über Formate und Einreichungen. Die Leute wollen, dass sie liberalisiert werden, weil es schlichtweg Zeitverschwendung ist.“

With a little help from AI

Liberalisierung also ist das Stichwort. Manuskripte in weitgehend freier Form einreichen und nur ein absolutes Minimum an Richtlinien vorgeben. Oder wie es wiederum ein befragter Editor in dem Paper vorschlägt:

„Schickt uns einfach den Artikel, und wir sehen ihn uns an. Wenn er uns gefällt, geben wir ihn zum Peer-Review. Und wenn er dem Peer-Review standhält, bekommt ihr ihn zurück – und DANN könnt ihr ihn in das Format unserer Zeitschrift bringen. Ich denke, das wäre respektvoll gegenüber der Zeit und dem Aufwand der Autoren.“

Das wäre doch mal ein Anfang!

Oder man wartet auf baldige Hilfe durch künstliche Intelligenz. Was einige offenbar tatsächlich tun. So twitterte etwa Jacqueline Soegaard Ballester, Postdoc in der Klinischen Informatik der University of Pennsylvania, voller Optimismus hinsichtlich des KI-Tools Copilot, das Microsoft im März diesen Jahres vorgestellt hatte:

„Die Arbeit wird jetzt richtig Spaß machen. Ich kann es kaum erwarten, Copilot einzusetzen, um auf Basis der verschiedenen Formatierungsanweisungen der Journals automatisch ein Startskelett für meine Manuskripte zu erstellen. Denn das Formatieren von Dokumenten ist eine völlige Zeitverschwendung für intelligente Menschen.“

Ralf Neumann

(Illustr. via Dall-E2)

 

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Letzte Änderungen: 08.12.2023