Editorial

Gerüstet gegen die
nächste Pandemie

(23.11.2023) In Göttingen untersucht Elisabeth Zeis­berg die Pathogenese der Herzfibrose mit CRISPR-Cas. Ihr Wissen setzt sie im Start-up Avocet ein, um RNA-Viren zu bekämpfen.
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Das Avocet-Team (von links) mit den drei Gründern Diane Seimetz, Albert Osterhaus und CEO Elisabeth Zeisberg sowie COO Sabine Maamari

Wann haben Sie Ihr Start-up gegründet?
Elisabeth Zeisberg: Die Avocet Biosciences besteht seit Anfang März 2023. Gegründet wurde das Start-up von mir, meinem Vorgesetzten an der Universitätsmedizin Göttingen Gerd Hasenfuß, dem Nephrologen Michael Zeisberg, der in der Corona-Pandemie aktiv mit der COVID-19-Patienten­betreuung betraut war und ebenfalls Professor an der Universitätsmedizin Göttingen ist, dem Virologen und Coronavirus-Spezialisten Albert Osterhaus von der Tierärztlichen Hochschule Hannover und der Münchner Drug-Development-Expertin Diane Seimetz.

Wie kam es zur Ausgründung?
Zeisberg: Den Anstoß für die Ausgründung gab die Corona-Pandemie, in der eine Therapie gegen RNA-Viren dringend benötigt wurde. Durch meine Forschungstätigkeit zur Herzfibrose hatte ich zehn Jahre Erfahrung mit der CRISPR-Technologie, zum Beispiel mit dem RNA-zerschneidenden Komplex CRISPR-Cas13. Wir dachten sofort, das könnte das perfekte antivirale Mittel sein! Wir haben dann Sondergenehmigungen bekommen, um daran unter dem Lockdown weiterzuarbeiten.

Editorial

Wie haben Sie denn die CRISPR-Cas-Technologie bei der Erforschung der Herzfibrose eingesetzt?
Zeisberg: Wir haben mit CRISPR-Cas in der Zellkultur und in Mäusen gezielt Genfunktionen untersucht, die bei der Herzfibrose eine Rolle spielen könnten, indem wir DNA-Elemente und mRNAs gezielt zerschnitten haben. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Epigenetik. Wir konnten zeigen, dass Fibrose-Suppressorgene durch Methylierung abgeschaltet werden und so eine Fibrose entsteht. Mit der CRISPR-Technologie konnten wir diese Methylierung punktgenau rückgängig machen und die Fibrose-Suppressorgene genspezifisch wieder anschalten.

Wie ist der derzeitige Status des Projekts zur Corona-Bekämpfung?
Zeisberg: Eine wichtige Frage momentan ist, wie wir gegen Coronaviren gerichtetes CRISPR-Cas13 verpacken, damit es an den Zielort in Nase, Rachen und Lunge gelangt. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Therapie keine Nebenwirkungen hat. In präklinischen Studien testen wir derzeit lipidbasierte Nanopartikel, die mRNA und Leit-RNAs für CRISPR-Cas13 enthalten, an menschlichen Lungenzellen, Hamstern, Ratten sowie an menschlichen Lungenschnitten, die bei Operationen anfallen. Wir möchten herausfinden, ob die Zubereitung als Nasenspray funktioniert oder vernebelt und in die Lunge inhaliert werden muss. Wir müssen in Studien zudem klären, wie lange die Wirkung des verabreichten CRISPR-Cas13 anhält und ob es eine Immunantwort des Körpers gegen Cas13 gibt.

Von wem haben Sie finanzielle Unterstützung für die Gründung erhalten?
Zeisberg: Die hauptsächliche finanzielle Unterstützung erhält die Avocet Biosciences durch die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) im Rahmen des 2021 gestarteten Programms „Broad-Spectrum Antivirals“, das Ansätze für Breitband-Virostatika und Plattform­technologien zur schnellen Entwicklung antiviraler Wirkstoffe fördert. Es handelt sich dabei um eine „Challenge“ über drei Stufen von jeweils einem Jahr, bei der jedes Jahr nur eine begrenzte Anzahl an Teams in die nächste Stufe kommt. Wir sind inzwischen in der dritten Stufe. Außerdem erhalten wir durch SPRIN-D Coaching in Regulatorik und Drug Development. Wir wurden auch mit weiteren Experten und Förderern in Kontakt gebracht. [Mehr über SPRIN-D und das Auswahlverfahren erzählt SPRIN-D-Direktor Rafael Laguna im LJ-Interview: „In der Höhle der HiPos“.]

Welche Funktionen haben Sie im Start-up?
Zeisberg: Im Augenblick bin ich CEO, auch dank der Offenheit der Universitätsmedizin Göttingen, dies in der Pionierphase der Unternehmensgründung zu ermöglichen. Der Vorstand der Universitätsmedizin unterstützte mich auch dabei, die SPRIN-D-Förderung ab der zweiten Stufe aus der Firma heraus zu beantragen. Diese Unterstützung, den Transfer von Projekten hin zu Ausgründungen zu fördern, rechne ich der Universität hoch an.

Wie minimieren Sie unspezifische Effekte Ihres Therapieansatzes?
Zeisberg: Die Leit-RNAs, die CRISPR-Cas13 an ihre Zielsequenzen bringen, suchen wir zunächst am Computer so aus, dass es keine Überlappung mit dem menschlichen Genom gibt. Dadurch, dass das virale Genom sich ohnehin stark vom menschlichen unterscheidet, sind diesbezüglich keine Off-target-Effekte zu erwarten. Cas13 kann aber auch unspezifisch RNA abbauen. Wir untersuchen derzeit, in welchen Zellen und in welchem Ausmaß dies auftritt und ob beziehungsweise welche Genfunktionen dadurch beeinflusst werden können. Das Verfahren und die verwendeten Modelle haben wir mit der regulatorischen Behörde für die Zulassung, dem Paul-Ehrlich-Institut, abgestimmt. Ich muss hier vielleicht nochmals betonen, dass CRIPSR-Cas13 nur RNA schneidet und keinen Einfluss auf das Genom hat. Ein möglicher Off-target-Effekt wäre daher ohnehin nur von vorübergehender Wirkung, da mRNA-Moleküle eine kurze Haltbarkeit im Rahmen von maximal wenigen Tagen haben.

Haben Sie noch weitere Produkte in der Pipeline?
Zeisberg: Wir haben mit CRISPR-Cas13 eine Plattform­technologie gegen RNA-Viren zur Verfügung. Wir arbeiten derzeit auch an einem CRISPR-Cas13-Schutzschild gegen Tollwut-Viren. Für Ungeimpfte ist eine Tollwut-Infektion tödlich. Pro Jahr sterben weltweit etwa 60.000 Menschen an der Erkrankung, vorwiegend in Afrika und Asien. Auch an einer Anwendung von CRISPR-Cas13 gegen Influenza sind wir interessiert. Wir sind im Kontakt mit verschiedenen Pharmafirmen. Kollaborationen kommen aber erst zu einem späteren Zeitpunkt in Frage.

Welche Vorteile hat Ihre Technologie?
Zeisberg: Es gibt derzeit keine andere Technologie zur Vorbeugung beziehungsweise Therapie von COVID-19 oder Tollwut, die RNA als Angriffspunkt hat. Am meisten verbreitet sind die Antikörper generierenden Therapien, die bei jeder Mutation des Virus in ihrer Wirksamkeit betroffen sind. Unsere Leit-RNAs richten sich gegen hochkonservierte Regionen der Virus-RNA. Unsere im Januar 2020 identifizierten Leit-RNAs sind gegen jede bisher aufgetretene Coronavirus-Variante wirksam. Sobald unser therapeutischer Ansatz für ein bestimmtes Organ, also zum Beispiel die Atemwege, einmal etabliert ist, können wir mit unserer Plattform zudem innerhalb von drei bis sechs Monaten ein CRISPR-Cas13-Produkt gegen jedes beliebige respiratorische RNA-Virus bereitstellen. Wenn wir durch ein Nasenspray eine Übertragung der Coronaviren verhindern können, könnten wir einen Lockdown überflüssig machen. Wir können uns auch eine Kombination von Impfstoffen und Nasenspray vorstellen, um gegen die nächste Pandemie gerüstet zu sein.

Was haben Sie durch Ihre unternehmerische Tätigkeit gelernt?
Zeisberg: Sehr vieles! Ich habe gelernt, wie man professionell an die Entwicklung einer Therapie herangeht. Das Start-up hat mir bereichernde und spannende Begegnungen mit Menschen beschert, die ich sonst nie getroffen hätte. Ich habe einen anderen Blick auf akademische Ergebnisse erhalten. Nun denke ich öfter daran, ob man die oder andere Erkenntnis nicht auch für eine Therapie verwenden könnte. Ich habe festgestellt, dass es leider noch zu wenige Gründerinnen gibt. Ich habe zehn Jahre in den USA gelebt und dort die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlebt. Wir haben vier Kinder im Alter von 7 bis 18 Jahren, die selber in der Medizin und in der Forschung tätig werden möchten. Ich möchte andere Frauen auf diesem Wege ermutigen, ihr Potential zu verwirklichen.

Das Interview führte Bettina Dupont

Bild: Felix Adler (für SPRIN-D)


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Letzte Änderungen: 23.11.2023