Apfel oder Afrika
Mit lautem Zwitschern könnten Fruchtfliegen ihre Orientierungsfähigkeit zwar nicht äußern, doch hätten auch sie einen Magnetsinn, brächten sie als Modellorganismus in der Navigationsforschung ganz klare Vorteile. Klein, genetisch manipulierbar und kürzere Wege und Wegzeiten als ihre gefiederten Kollegen – mit diesen Eigenschaften wären größere Probandengruppen schnell und unter vergleichsweise geringem Aufwand analysierbar. Das minimale Element für eine Kompass, Chryptochrom, das zumindest bei Vögeln und in vitro Magnetfeld-abhängig Radikalpaare bildet (Nature, 594: 535-40), ist unter Lebewesen weit verbreitet.
Henrik Mouritsens Forschung an der Uni Oldenburg hatte sich bislang gänzlich um die Navigation von Vögeln und speziell zu neurobiologischen Aspekten ihres Magnetsinns gedreht. Gelegentlich auf Drosophila auszuweichen, um wertvolle Daten zu sammeln, hätte zweifelsohne seinen Reiz. Mouritsen ging die Sache nüchtern an und versuchte zunächst, Beobachtungen Dritter zu reproduzieren. Laut Robert Gegear et al. (Nature, 454: :1014-8) und Giorgio Fedele et al. (Nat Commun, 5: 4391) verfügt Drosophila über einen Magnetsinn. PubMed verzeichnet 163 Paper zu „magnetic field“ & „Drosophila“. Welchen Sinn er für eine Fruchtfliege macht, die den Weg zum nächsten Apfel und nicht nach Afrika finden muss, sei dahingestellt.
Bombensicher abgeschirmt
Mouritsen baute die Apparatur gemäß der Gegear-Publikation nach und hielt sich strikt an die Protokolle. Der Apparat ist spiegelsymmetrisch und zweiteilig, sodass sich die Fliegen ihren Präferenzen gemäß bewegen können. Auf beiden Seiten gibt es je eine Spule, durch die Strom fließt. Mit einer der beiden Spulen wird ein Magnetfeld erzeugt, in Höhe der Erdmagnetstrahlung von 500 µT. In der anderen Spule fließt gleich viel Strom in beiden Richtungen, sodass sich die Magnetfeldwirkung aufhebt, jedoch die Wärmeerzeugung jener der ersten Spule entspricht. Der Apparat steht in einer Holzkiste. Mouritsen stellte die Kiste in einen Raum, der bombensicher von Erdmagnetstrahlung abgeschirmt ist. Konstruktionsdetails zum Raum finden sich in: Front Behav Neurosci, 10:55. Das ist der einzige, aber wesentliche Unterschied zum Original.
Mouritsens Fruchtfliegen – er verwendete denselben Drosophila-Stamm wie publiziert – bevölkerten die gesamte Apparatur ohne erkennbare Präferenz bzw. Abneigung. Dabei hätten sie doch eigentlich die „strahlende“ Hälfte vermeiden müssen. Kontrollexperimente mit Zucker oder Gerüchen funktionierten hingegen. Selbst nach längerem Training – hier wurde Fliegen öfter und länger das Magnetfeld angeboten und jene, die die enstprechende Apparaturhälfte besiedelten, mit Zucker belohnt – ließen sich die publizierten Bewegungen nicht reproduzieren. Hätten die Fliegen das Magnetfeld wahrgenommen, hätten sie zielstrebig jene Bedingung aufsuchen müssen, hinter der gemäß Training die Zuckerbelohnung steckte. Mit Düften funktionierte es, mit Magnetfeldern aber eben nicht.
Irrtümliche Interpretation
Mouritsen verwendete sehr viele Fliegen, fast einhunderttausend, und brachte mit insgesamt 48-monatiger Versuchszeit viel Geduld auf. Eine Erklärung zur Nicht-Reproduzierbarkeit war bald gefunden. In der Originalstudie waren statistische Berechnungen davon ausgegangen, dass sich jede Fliege unabhängig von den anderen bewegt, was aber nicht der Realität entspricht. Zusammen mit zu geringen Probandenzahlen hatte das zu der irrtümlichen Ergebnisinterpretation geführt.
Einmal Verdacht geschöpft, hinterfragte Mouritsen auch die Publikation von Fedele et al. Hier hätten Fliegen dem Magnetfeld entfliehen sollen, indem sie in einem Gefäß nach oben klettern (negative Geotaxis). Wiederum hielt sich Mouritsen exakt an die Originalkonstellation, verwendete denselben Drosophila-Stamm (CS-LE), filmte die Bewegungen und berechnete den Anteil von Fliegen, die binnen 15 Sekunden um 15 cm geklettert waren. Hierzu klopft man die Fliegen zu Beginn auf den Gefäßboden, nutzt eine sanfte Zentrifugation oder – als weitere und noch sanftere Variante von Mouritsen, appliziert einen kurzen Druckabfall.
Absolut blind für Magnetfelder
In seinen absolut Erdmagnetstrahlung sicheren Kammern verhielten sich die Fliegen völlig blind gegenüber applizierten Magnetfeldern. Da ihm 15 cm Kletterei in 15 Sekunden recht willkürlich als Verhaltensindikator erschien, ermittelte Mouritsens Team, außerdem die Position der Fliegen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Auswertung brachte keine Zeichen für Magnetfeld-beeinflusstes Verhalten. Dieses ließ sich auch nicht mit weiteren getesteten Magnetfeldstärken (90, 220, 300 µT) herauskitzeln, und auch nicht mit LED-Beleuchtung als Hintergrundatmosphäre. Dass Fliegen selbst in Einzelabfertigung – im Teströhrchen war jeweils nur ein Tier, dessen Bewegung aufgezeichnet wurde – sich als absolut blind für Magnetfelder erwiesen, mündete im unvermeidlichen Fazit: die publizierten Arbeiten, Drosophila habe einen Magnetsinn, sind höchst zweifelhaft. Also dann doch lieber wieder zurück zu den Rotkehlchen.
Andrea Pitzschke
Bassetto M. et al. (2023): No evidence for magnetic field effects on the behaviour of Drosophila. Nature, 620: 595–9.
Bild: Wikimedia Commons/Katja Schulz (CC-BY 2.0) & Pixabay/Clker-Free-Vector-Images (Magnet)
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