Editorial

Don’t feed the troll

(31.08.2023) Immer häufiger sind Forscher verbalen Attacken in E-Mails und Sozialen Medien ausgesetzt. Das Portal SCICOMMsupport bietet Ratschläge und Hilfe.
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Wissenschaftler sind keine professionellen Kommunikatoren. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse entstehen unabhängig davon, welchen Einfluss sie auf Gesellschaft und Politik haben könnten. Nehmen Forscher in der breiten Öffentlichkeit Stellung, entwickelt die Thematik schnell eine eigene Dynamik, die schwer zu steuern sein kann. Im Zeitalter des Internets und der Sozialen Medien gibt es auch Gegenrede, Polemik und Verbalangriffe unter der Gürtellinie – eventuell innerhalb von Sekunden und massenhaft.

Natürlich kann man wie manche Prominente, die Hass, Neid und Kontroversen ausgesetzt sein, fiese Kommentare einfach nicht lesen oder sie von Dritten lesen lassen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Liest man sie doch, sollte man solche Nachrichten für eventuelle Rechtsschritte archivieren. Wenn man wie ein bekannter Virologe, aufgrund von Stellungnahmen im Rahmen der Coronapandemie, im Urlaub auf dem Campingplatz persönlich angemacht und beschimpft wird, ist das schon etwas brenzliger, da die Situation auch eskalieren könnte. In diesem Fall musste die Polizei einschreiten. Derartige Vorkommnisse sollte man per Foto, Video und Gedächtnis­protokoll dokumentieren und Zeugen hinzuziehen.

Editorial

Neues Internetportal und Telefonhotline

Der Bundesverband Hochschulkommunikation und die gemeinnützige Organisation „Wissenschaft im Dialog“ haben das Notfall­portal SCICOMMsupport eingerichtet, um angefeindeten und durch Hassrede bedrohten Wissenschaftlern ganzjährig Hilfestellung bieten zu können. Eine Beratungshotline ist täglich von 7 bis 22 Uhr erreichbar. Ein Leitfaden empfiehlt Betroffenen, zusätzlich die Kommunikations­abteilung der eigenen wissenschaftlichen Einrichtung zu kontaktieren und Kolleg:innen miteinzubeziehen. Auch das eigene Umfeld könne Unterstützung bieten. „Ist die Bedrohungslage konkret und akut, sollte diese nicht öffentlich gemacht werden. Verständigen Sie umgehend die Sicherheitsbehörden“, heißt es im Leitfaden.

Im Falle von digitalen Angriffen rät die Initiative zu Gegenrede, Versachlichung und Fürsprache in den Sozialen Medien. Strafrechtlich relevante Posts und Hasskommentare wie Beleidigungen, Verleumdung, üble Nachrede oder Volksverhetzung können über die Online-Wachen der Polizei eingereicht werden. Rechtswidrige Inhalte müssen nach Meldung von den Plattform­betreibern gelöscht werden. Auch das Ignorieren der Angriffe ist eine Strategie, um keine weiteren fiesen Verbalattacken herauszufordern – ganz nach dem Motto „Don’t feed the troll“.

Wissenschaftler als Projektionsfläche

„Letztlich geht es bei Hassrede um alle Formen verbaler Angriffe, bei denen sich die Kritik nicht gegen inhaltliche Positionen und Aussagen richtet, sondern gegen die Person eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin selbst. Es steht nicht mehr die Kontroverse über Inhalte im Vordergrund, sondern das Ziel ist es, Forschende mundtot zu machen oder zum Rückzug aus der Öffentlichkeit zu zwingen“, kommentiert Karl Rijkhoek, Leiter der Stabsstelle Hochschul­kommunikation der Universität Tübingen.

„Mit Blick auf digitale Gewalt, zum Beispiel in den Sozialen Medien oder in E-Mails, reicht die Bandbreite von abfälligen Äußerungen zur Qualität der Forschung und dem Anzweifeln von Aussagen und Motiven der Institution, über Shitstorms und organisierte Troll-Kampagnen, bis hin zu menschen­verachtenden Beschimpfungen. Letzteres stellt bisher glücklicherweise eine Ausnahme dar“, berichtet Rimma Gerenstein, Presse­sprecherin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Eine weitere Ausprägung: Wissenschaftlich unstrittige Fakten und Prozesse sowie Personen, die diese vertreten, sollen delegitimiert und deskreditiert werden. Ihnen wird quasi das Recht auf Teilnahme am öffentlichen Diskurs abgesprochen“, erklärt sie.

Leben wir in einer zunehmend intoleranten, wissenschafts­feindlichen Gesellschaft? Wünschen manche Menschen keine „überflüssigen Belehrungen“ aus dem Elfenbeinturm und führen ihr Leben lieber so, wie es ihnen selbst gefällt? Sind manchen Menschen Forschung, Medizin, Pharma­industrie, Gentechnologie und Impfungen grundsätzlich suspekt? Oder lehnen sie Akademiker ab und lassen sich „von denen“ generell nichts sagen? Es sieht so aus, als dienten Wissenschaftler in Zeiten gesellschaftlicher Konflikte als Projektions­fläche, was sie vereinzelt zur Zielscheibe von Hassgefühlen und Frustrationen macht.

Mehr gesellschaftliche Konfliktthemen

„Wir haben an der Universität Tübingen nach meiner Beobachtung in den vergangenen Jahren nur in Einzelfällen verbale Angriffe auf Forschende erleben müssen. Körperliche Angriffe sind mir nicht bekannt“, so Rijkhoek. „Wenn es zu Verbalangriffen kam, dann in Zusammenhang mit konflikt­behafteten Themen. Wenn es hier eine Zunahme gab, dann nach meiner Einschätzung deshalb, weil die Zahl konflikt­behafteter Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden, zugenommen hat.“

Die Universität Tübingen ermutigt und fördert Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich zu ihren Forschungs­themen in der Öffentlichkeit äußern möchten. „Dazu gehört ein breites Unterstützungs- und Schulungs­angebot, das Forschende auf allen Karrierestufen nutzen können“, erläutert der Stabs­stellenleiter. „Darüber hinaus stehen in den Fakultäten die Vertrauensleute für gute wissenschaftliche Praxis als erste Ansprechpartner zur Verfügung, wenn Forschende sich Angriffen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sehen. Zudem können sich betroffene Forschende jederzeit an das Rektorat der Universität oder an die Hochschul­kommunikation wenden.“

Gesenkte Hemmschwellen durch Anonymität

„Verbale Angriffe auf Wissenschaftler:innen und -kommunikator:innen der Universität Hohenheim beschränken sich in der jüngeren Vergangenheit unserer Kenntnis nach auf Einzelfälle, zum Beispiel beleidigende Social-Media-Kommentare, E-Mails oder Briefe. Tätliche Angriffe sind uns nicht bekannt“, berichtet auch Florian Leonhardmair, stellvertretender Leiter der Stabsstelle Presse, interne Kommunikation und Social Media. „Unser Eindruck ist jedoch, dass die Problematik insbesondere durch die Sozialen Medien eine neue Qualität gewonnen hat. Die Möglichkeit, sich anonym vor einem großen Publikum zu äußern, ohne sich mit den angesprochenen Personen von Angesicht zu Angesicht auseinandersetzen zu müssen, hat in unserer Wahrnehmung zu einer Senkung von Hemmschwellen geführt“, fügt er hinzu.

Seine Stabsstelle berät Wissen­schaftler:innen und Kommu­nikator:innen bei allen Krisenthemen persönlich oder vermittelt bei Bedarf weitere Kontaktstellen, zum Beispiel SCICOMMsupport. „Zugleich ist uns ein wichtiges Anliegen, proaktiv tätig zu sein. Bei kontroversen Themen wie zum Beispiel Tierversuchen setzen wir auf Transparenz. Dazu tauschen sich die Akteure an der Universität regelmäßig untereinander aus und vernetzen sich auch mit bundesweiten Initiativen wie ‚Tierversuche verstehen‘. Mit dieser Transparenz haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Leonhardmair. „Wenn notwendig, stärkt auch die Universitätsleitung Forschenden bei kontroversen Forschungs­themen den Rücken.“

Zunahme von Verbalattacken

„Nach unseren Erfahrungen haben verbale Angriffe, vor allem im digitalen Raum, und unsachliche Konflikte in den vergangenen Jahren eher zugenommen“, berichtet Rimma Gerenstein von der Universität Freiburg. „Grundsätzlich ist zu beobachten, dass der digitale Raum eine Enthemmung befördert hat: Alle können sich direkt und anonym äußern, die Kommunikation kann durch Fake-Accounts und fehlende Face-to-Face-Interaktion erfolgen. Auch im Rahmen der Coronapandemie haben wissenschafts­feindliche Angriffe zugenommen“, erläutert die Pressesprecherin. „Während sich früher Angriffe eher auf einzelne Personen konzentrierten, weiten sie sich inzwischen auch auf ganze Themenbereiche aus, sodass zum Beispiel Tatsachen zur Corona- und Klimakrise geleugnet und abgewertet werden.“

Die Universität Freiburg bietet Betroffenen und Ratsuchenden unterschiedliche fachliche Anlaufstellen an. „Hierzu gehören vor allem die Abteilung Hochschul- und Wissenschafts­kommunikation mit professionellen, in Krisen­kommunikation geschulten Kommu­nikator:innen sowie ergänzend das Justiziariat mit juristischer Expertise. Außerdem das Büro der Gleichstellungs­beauftragten, wo ein Fokus auf Cybergewalt liegt, sowie der psychosoziale Beratungsdienst mit Psycholog:innen bzw. Psycho­therapeut:innen. Auch das Bedrohungs­management kann konsultiert werden“, so Gerenstein.

„Zudem werden an der Universität Freiburg derzeit unterschiedliche Unterstützungs­angebote zu Wissenschafts­kommunikation zu einem Weiterbildungs­programm ausgebaut. Wissen­schaftler:innen sollen damit die Möglichkeit haben, sich auf diesem Gebiet umfassend zu qualifizieren. Dazu gehört auch der Umgang mit digitaler Gewalt, Wissenschafts­feindlichkeit und Hassrede.“

Nützliches, ergänzendes Angebot

„Wir sind selbst Mitglied des Bundesverbands Hochschul­kommunikation und begrüßen die Initiative sehr“, so Leonhardmair zum Angebot SCICOMMsupport. „Die Berater:innen des SCICOMMsupport sind alle Kommu­nikator:innen an Hochschulen. Die beiden Träger der Plattform haben einen sehr guten Überblick über die Entwicklungen an den Universitäten und anderen Wissenschafts­einrichtungen im deutschsprachigen Raum und reagieren mit diesem Angebot auch auf die in den vergangenen Jahren entstandenen Bedarfe“, kommentiert Gerenstein.

„Das Angebot von SCICOMMsupport schließt vor allem eine Lücke für Forschende, die an kleineren Einrichtungen tätig sind, die zum Teil über keine leistungsstarken Abteilungen für Wissenschafts- und Hochschul­kommunikation oder andere Strukturen zur Unterstützung in Konflikt­situationen verfügen“, so Stabsstellenleiter Rijkhoek.

Bettina Dupont

Bild: Pixabay/alanajordan


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Letzte Änderungen: 31.08.2023