Editorial

Wenn Mottenmörder
nicht zum Morden kommen

(23.06.2023) Wirtsorganismen sind meist multipel infiziert. Wenn die Eindringlinge dann untereinander streiten, freut sich hin und wieder der Wirt.
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Wie untersucht man pathogene Infektionen? Ganz einfach: Man nimmt das Pathogen, infiziert den Wirt damit und versucht alle möglichen Interaktionen samt derer Konsequenzen aufzuzeichnen. Und möglichst auch zu verstehen. 

So jedenfalls macht man‘s im Labor. Wirt und Eindringling ganz alleine – sonst nichts, damit die eine gewünschte Infektion möglichst rein und ungestört ablaufen kann. 

Das Dumme allerdings ist, dass die Natur meist nicht so reduktionistisch funktioniert. Oft ist die ganze Wahrheit deutlich komplexer. 

So werden etwa „Wirte“ in ihrer natürlichen Umgebung überwiegend nicht nur von einem, sondern von einer ganzen Reihe Eindringlingen bevölkert. Dem Wirt selbst bleibt die große Mehrheit davon unbemerkt. Nicht aber beispielsweise der kleine Fiesling XY, der gerade frisch ‘reingekommen ist, denn dieser sorgt in aller Regel für größeren Aufruhr. Nicht nur dass er sich in besonderer Schärfe mit den Kontroll- und Abwehrtruppen des Wirts herumschlagen muss – nein, zugleich sieht er sich auch den potenziellen Feindseligkeiten bereits anwesender „Mit-Besiedler“ ausgesetzt.

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Siedler-Kämpfe

Eigentlich logisch, dass die Heftigkeit dieser resultierenden Wirts-internen Kämpfe am Ende auch den Infektionsverlauf von XY beeinflusst. Studiert werden solche multiplen Koinfektions-Szenarien allerdings noch nicht sehr lange. Mit der Folge, dass sich die Ergebnisse bisher kaum in gewisse Muster pressen lassen: Mal wird die Virulenz eines Eindringlings durch Wirts-interne Konflikte erhöht, mal wird sie gesenkt – oder sie haben gar keinen Einfluss darauf.

Wobei wiederum klar ist, dass diese Effekte jeweils stark von der Art der anwesenden Mitbewohner abhängen. So kann der „Siedler-Konflikt“ beispielsweise umso stärker werden, wenn XY im Wirt auf nahe Verwandte trifft – es kann aber auch das genaue Gegenteil passieren (siehe J. Invertebr. Pathol. 99(1): 35-42). Ebenfalls natürlich mit gewichtigen Auswirkungen auf die Virulenz. 

Und last, but not least ist auch die Vorgeschichte nicht ohne Einfluss. Ein und derselbe Parasiten-Stamm kann seinen aktuellen Wirt in deutlich unterschiedlichem Maß malträtieren – je nachdem, wie oft und wie schnell dessen Vorfahren zuvor ihre Wirte wechseln mussten und wie es ihnen dort jeweils erging (siehe etwa J. Evol. Biol. 21(5): 1245-51).

Bakterielles Tötungskommando

Nehmen wir zur Illustration ein besonders krasses Beispiel: die Motten-mordenden Fadenwürmer der Gattung Steinernema. Diese bohren sich in die Leiber der Motten (wie auch hin und wieder mal von anderen Insekten) – und bringen ihr eigenes Tötungskommando mit: Bakterien der Art Xenorhabdus bovienii.  Diese mutualistischen Binnenpartner entlässt der Wurm nachfolgend in die Motte, wo sie sich prächtig teilen – bis der Wirt stirbt. In dem toten Insekt vermehrt sich nun wiederum der Wurm, dessen Nachkommen sich folglich „Tote Motte“ samt Bakterien einverleiben. Womit die Jungwürmer wieder „geladen“ wären für das nächste Opfer.

Wie gesagt, Natur ist oft komplex – aber um zurück zum Thema zu kommen: Häufig bohren sich mehrere Würmer in die selbe arme Motte, wodurch dort plötzlich verschiedene Xenorhabdus-Stämme aufeinandertreffen – und die Bakterien-Schlacht beginnt. Unter hohem Aufwand produzieren sie spezifische antimikrobielle Toxine, sogenannte Bacteriocine, um die ungeliebten Verwandten aus dem Wirt zu räumen. Streiten sich nur zwei Stämme, wird am Ende einer gewinnen. Die Motte wird aber umso länger leben, weil dessen Virulenz darunter ziemlich gelitten hat.

"Schere-Stein-Papier"

Ziehen in der Motte hingegen drei oder mehr Xenorhabdus-Stämme in die Schlacht, wird es schnell unübersichtlich. So kann diese beispielsweise leicht in ein zyklisches „Fließ-Patt“ nach dem „Schere-Stein-Papier“-Prinzip münden: Der Toxin-Produzent tötet einen sensitiven Stamm – ein anderer ist jedoch resistent und schlägt wiederum den „Sieger“ aus dem Feld – woraufhin der sensitive Stamm wieder Morgenluft wittert, durchstartet und den resistenten an die Wand drückt – bis der Toxin-Produzent sich erholt hat und der Zyklus wieder in eine neue Runde startet ... (Am. Nat. 175: 374-81)

Und die Motte? Die überlebt solch eine Mehrstamm-Infektion deutlich länger als jeden Einzel-Überfall.

Ralf Neumann

(Foto: ucdnema.ucdavies.edu)

 

 

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Letzte Änderungen: 21.06.2023