Editorial

Der gläserne Patient

(29.03.2023) Killifische sind beliebte Tiermodelle in der Alternsforschung. Per CRISPR-Cas9-Geninaktivierung haben Jenaer Forscher sie transparent gemacht.
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Männlicher Fisch der klara-Linie oben, Wildtyp unten.

„Und nun bitte den Oberkörper frei machen!“. Ein leichtes Abklopfen hier, ein bisschen Abtasten da, ein Blick in den Rachen. Mit einem knappen „Sie können sich wieder anziehen“ hat sich die Sache für die Ärztin erledigt. Patient unauffällig. Grob und von außen zumindest. Könnte sie jedoch einfach so durch ihn hindurch­schauen, wäre der Ärztin vielleicht eine ausgefranste Leber, Steinchen in der Niere oder gar ein kleiner Tumor aufgefallen. Gläserne Menschen wird es nie geben. Für die medizinische Forschung wären gläserne Tiermodelle aber schon die halbe Miete. Wären? Sind!

Klara, geschlüpft in Jena, ist der lebende Beweis dafür. Klara ist eine genetisch manipulierte Linie des Afrikanischen Killifischs alias Türkiser Prachtgrund­kärpfling alias Notho­branchius furzeri. N. furzeri lebt nur drei bis sieben Monate und ist damit der kurzlebigste in Gefangenschaft haltbare Vertebrat. Alterungs­prozesse, wie sie auch bei Säugetieren vorkommen (Telomer­verkürzung, Anhäufung seneszenter Zellen, schwindende regenerative Kapazität), durchläuft der bis 6 cm lange Fisch im Schnelldurchlauf. Das macht ihn zum Lieblings­organismus für Christoph Englert vom Leibniz-Institut für Alterungs­forschung in Jena. Erkenntnisse aus dem Zebrabärbling halfen ihm und seinem Team, an eine noch attraktivere, nämlich durchsichtige Ausführung des Killifischs zu gelangen.

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sgRNA-Trio

Natürliche Mutanten von Zebrabärblingen mit Pigmentations­defekten gibt es, und charakterisiert sind sie auch. Die Pigment­entstehung beziehungsweise die dafür zuständigen Zellen müssen dabei ausgeschaltet werden. Bei Zebrabärblingen betrifft das drei Chromato­phoren, nämlich Melanophoren (schwarz), Iridophoren (silbrig oder blau) sowie Xanthophoren (gelb); und außerdem noch Zellen des Retina-Pigment­epithels.

Dass sich laut Genexpressions­analyse die zugehörigen Gene (mitfa, ldk, csf1ra) im Killifisch ganz ähnlich wie im Zebrabärbling verhielten, war vielversprechend. Daraufhin designten die Forscher drei entsprechende sgRNAs, die eben diese Gene inaktivieren sollten. Sie waren so konzipiert, dass sich die erwünschte Manipulation leicht durch Restriktions­analyse verifizieren lässt. Die drei sgRNAs injizierten Englert und Co. als Trio, obendrein mit Cas9-mRNA sowie GFP-mRNA in Killifisch-Embryonen, genauer gesagt, in einer vergleichsweise langlebigen Linie (Mol Phylogenet Evol, 61(3):739-49).

Handwerkliche Routine für Mikro­injektionen gepaart mit einer eigens gebastelten Hilfsapparatur ermöglichte es, 600 Embryonen binnen zwei Tagen „durchzuimpfen“. Dass der „Impfstoff“ prinzipiell sein Ziel erreicht und die Spritze keinen Schaden verursacht hatte, war an der (vorüber­gehenden) Fluoreszenz erkennbar. Die für Massen­abfertigungen konzipierte Apparatur hat Vertiefungen für je einen Embryo. Dank schräger Wand trifft die Injektionsnadel seitlich auf.

Gut erkennbare Schwimmblase

Wie erfolgreich die Geninakti­vierungen waren, und ob alle drei auf einen Streich erwischt worden waren, zeigte sich prompt oder nach wenigen Tagen, denn Genaktivitäten und deren farbige Auswirkungen sind entwicklungs­abhängig gesteuert. Die meisten Tiere hatten mosaikartige Pigmentlücken. Unter Exemplaren, die nach dem Schlüpfen völlig transparent waren, ließen sich Schwimmblase und bei den Weibchen die Eierstöcke gut erkennen. Sogar den Blutfluss in der Kardinalvene und den kleinen Blutgefäßen der Schwanzflosse stellten pigmentfreie Tiere offen zur Schau. Dass die Mikroinjektion mit gleich drei sgRNAs so außergewöhnlich effizient ablief, könnte, so die Vermutung, an der relativ langen Phase liegen, die ein Killifisch im Ein-Zell-Stadium verbringt. Zwei bis drei Stunden geben der Cas9 Zeit für die genomischen Umbauten.

Kreuzungen ausgewählter Kandidaten führten schließlich zu insgesamt 13 stabilen, für alle drei Gendefekte homozygote Linien. Ihr Name: „klara“. Klaras innere Organe sind gut sichtbar. Ihr orangefarbig schimmernder Bauch kommt nicht von eigenen Pigmenten, sondern einverleibten kleinen Crustacaen. Bis auf die Durchsichtigkeit sieht klara aus wie ein ganz normaler Killifisch, hat ähnlich viele Immunzellen, verhält sich normal und lebt genauso lang wie der Wildtyp. Genau das macht sie zu einem wichtigen Werkzeug, um Seziermesser gegen Mikroskop zu tauschen und live beobachten zu können.

Pigmentierte bevorzugt

Bei männlichen klaras treten im Alter von vier Wochen Melanophore an der Flosse auf, die aber nicht weiter stören. Völlig bedeutungslos ist die Pigmentierung beim Killifisch dennoch nicht, wie Paarungs­experimente zeigten. Weibchen ziehen den pigmentierten (Wild-)Typ den durchsichtigen Kandidaten vor. Fruchtbar sind aber alle. Das Paarungs­verhalten an sich ist unverändert.

Die Retina-Pigmentierung, die selbst bei klara noch immer auftrat und Melanophoren zuzuschreiben war, hoben die Forscher auf, indem sie eine weitere sgRNA injizierten. Diese zielte auf den sclc45a2-Lokus, der aus einer pigmentfreien Zebrabärbling-Mutante (crystal) bekannt ist. Aus dieser zusätzlichen sgRNA-Injektion gingen klara-Abkömmlinge hervor, die nur noch einen silbrigen Ring um die Augen trugen. Gleichzeitig war das ein Beleg dafür, dass Klara für weitere genetische Manipulationen empfänglich ist. Wohl auch für solche, die Alterungs­prozesse betreffen, denn das ist schließlich das ureigene Interessensfeld der Jenaer.

Alterung live unterm Mikroskop

Das cdkn1a-Gen ist ein Seneszenz­marker. Auf diesen Lokus zielte die Gruppe mit einer sgRNA, um einen Doppel­strangbruch zu provozieren und ein Konstrukt aus GFP und NTR (Nitroreductase), mit dazwischen­liegender P2A-selfcleavage-Sequenz (damit zwei separate intakte Proteine entstehen), eben dort im Genom unterzubringen. Die Konstrukt­enden waren so gestaltet, dass per Homologie-abhängiger Reparatur (HDR; homology-dependent repair) GFP und NTR im Lokus landen und wie ein normales cdkn1a-Gen exprimiert werden.

Ein Zehntel der mikroinjizierten Embryonen trug den planmäßigen Einbau. Ganz nach Plan fiel auch die Antwort auf Röntgen­bestrahlung aus. Die alterungs­fördernde Strahlung aktivierte GFP- und NTR-Expression und brachte die Embryonen zum Fluoreszieren. Unterm Lichtscheiben­mikroskop ließ sich das Altern anhand zunehmender GFP-Fluoreszenz verfolgen. Dass die Enzymaktivität von NTR intakt war (und für weitere Studien nützlich sein könnte), zeigten Experimente mit Hautzellen erwachsener Tiere. Kultivierte Zellen, die vor Röntgen­bestrahlung mit Metronidazol konfrontiert werden, leuchten kaum noch. Schuld ist die strahlungs­aktivierte Nitroreductase. Sie wandelt Metronidazol in eine Substanz mit cyctotoxischer Wirkung um. Und tote Zellen können nicht mehr leuchten.

Andrea Pitzschke

Krug J. et al. (2023): Generation of a transparent killifish line through multiplex CRISPR/Cas9-mediated gene inactivation. Elife, 12:e81549

Bild: FLI/Kerstin Wagner




Letzte Änderungen: 29.03.2023