Editorial

Schlaf spart anders

(4.12.17) Schlaf empfinden wir als erholsam. Naheliegend daher, dass er unserem Energiehaushalt gut tut. Tut er auch, nur offenbar nach einem anderen Prinzip als bisher gedacht. Nach Berechnungen eines Teams aus Bern und Ohio lautet das Schlüsselwort: Partitionierung.
editorial_bild

Warum schlafen wir eigentlich? Und nicht nur wir? Schließlich schlafen manche Tiere gerade jetzt besonders tief und lange – Stichwort Winterschlaf.

Klar, Ziel und Zweck des Schlafes muss wohl die Energieersparnis durch verminderten Stoffwechsel sein – so meinen viele. Für die erwähnten Winterschläfer mag das stimmen, nur fährt der Organismus hierbei seinen Stoffwechsel viel weiter runter als bei normalem Schlaf. Bei Letzterem hingegen weiß man inzwischen, dass das Stoffwechseldrosseln tatsächlich nur wenig Energie einspart. Dazu kommt, dass gewisse Prozesse und Systeme gerade während des Schlafs besonders aktiv sind – etwa Immunsystem, Gedächtnis sowie die Regeneration von Nerven- und anderen Zellen. Viele Wissenschaftler bezweifeln daher die Energieeinspar-These.

Dass man durch Schlaf jedoch tatsächlich Energie spart, nur nach einem ganz anderen Prinzip – das legen frische Ergebnisse eines Teams aus dem Berner Inselspital und der Ohio State University nahe: Mit Methoden der Mathematik und Evolutionsbiologie kamen sie quasi einem völlig neuen „Schlaf-Code“ auf die Spur (PLoS ONE 12(10): e0185746).

Editorial

Anders als bei früheren Berechnungen berücksichtigten Erstautor Martin Schmidt und Co. dabei nicht nur, wie sich die Stoffwechselrate des Körpers insgesamt reduziert. „Bei solchen Kalkulationen geht man davon aus, dass alle metabolischen Funktionen im Schlaf gleich stark herunterfahren“, schreiben sie. Das passiert jedoch nicht.

Die Lösung des Rätsels liegt eher in der Partitionierung: „Im Schlaf und Wachzustand werden biologische Vorgänge zeitlich und räumlich gestaffelt und gebündelt“, erklärt Markus Schmidt die Schlussfolgerungen aus den Berechnungen. Was letztlich heißt, dass der Organismus biologische Prozesse klar zwischen Schlaf und Wachsein aufteilt: Er koppelt etwa die Gedächtnisfestigung an den Schlaf, während der Energiestoffwechsel im Wachzustand deutlich aktiver ist.

„Die Stoffwechsel-Reduktion an sich spart nur etwa sieben bis acht Prozent unserer Tagesenergie. Mit der Partitionierung des Stoffwechsels zwischen Schlafen und Wachen werden es aber bis zu 37 Prozent.“ Erst dadurch, dass wir diese Aufteilung durch regelmäßiges abendliches „Schlafengehen“ ermöglichen,  empfinden wir den Schlaf an sich als „erholsam“. Wobei natürlich dazukommt, dass dieser Rhythmus von unserer inneren Uhr forciert wird  – und damit zu optimaler Energieeinsparung beiträgt.

Dieser Mechanismus um die Partitionierung könnte damit auch umgekehrt erklären, warum chronischer Schlafmangel – beispielsweise als Folge von Ein- und Durchschlafstörungen oder bei Stress – sich so negativ auf unsere Gesundheit auswirkt. „Wenn wir ein Schlafdefizit haben, können dem Schlaf zugeordnete Funktionen nicht mehr vollständig ablaufen. Die Folgen sind vielfältig und reichen von Konzentrationsstörungen bis hin zu erhöhtem Krebsrisiko“, warnt Markus Schmidt schlussendlich vor einer latenten Vernachlässigung eines gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus.

Was aber hat das jetzt mit Evolutionsbiologie zu tun – siehe oben? Die Autoren meinen, dass bestimmte biologische Prozesse deswegen gezielt in der Schlafphase hochreguliert wurden, weil die diskrete Partitionierung von Stoffwechselvorgängen einen klaren Selektionsvorteil bot – und zwar insofern, als dass der Organismus dadurch einen Schlüsselmechanismus erwarb, wie er durch Schlaf seinen Energiehaushalt optimieren kann. Und das böte am Ende nicht nur eine mechanistische, sondern auch eine evolutionäre Antwort auf die alte Frage: Warum schlafen wir?

Ralf Neumann

(Foto: Pixabay / Olichel


Letzte Änderungen: 21.12.2017