Editorial

Komplementär an die Börse

(16.11.17) Die Thüringer Biotech-Firma Inflarx ist seit Freitag an der US-Börse Nasdaq gelistet. Der Emissionserlös soll entzündeten Talgdrüsen zugute kommen.
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Das Management von Inflarx (2.v.l. CEO Niels Riedemann) © Thüringer Aufbaubank

Das Jenaer Biopharmazeutik-Unternehmen Inflarx wagte sich Anfang November an die US-amerikanische Technologiebörse Nasdaq. 6,7 Millionen Aktien zu je 15 Dollar brachten den Thüringern umgerechnet rund 85 Millionen Euro ein. Erst vor wenigen Wochen verlautbarte Inflarx zudem die erfolgreiche Akquise von etwa 47 Millionen Euro, nach einer kaum weniger erfolgreichen Finanzierungsrunde (31 Millionen Euro) im Jahr 2016. Ausgestattet mit so viel frischem Kapital sollte das 2007 gegründete Unternehmen mit Stammsitz in Jena sowie einer Niederlassung in Planegg (München) wieder eine Weile forschen und entwickeln können.

Die Wirkstoff-Pipeline von Inflarx ist recht überschaubar. Beide Wirkstoffkandidaten - IFX-1 und IFX-2 genannt - sind zudem in recht frühen Phasen der klinischen Evaluation. Das Interesse von Investoren ist dennoch groß, denn die Jenaer konzentrieren sich auf eine bisher wenig beachtete Wirkstoffgruppe: inhibitorische Antikörper gegen eine kleine Untereinheit des Komplementsystems.

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Das Komplementsystem ist Teil der angeborenen Immunantwort. Ein Konglomerat aus Plasmaproteinen, unter ihnen die Komplementkomponenten C1 bis C9, hilft dem Organismus bei der Beseitigung mikrobieller Invasoren, kann aber auch, sofern dysreguliert, zu Autoimmunreaktionen führen. Enzymatisch wird das Protein C5 in seine Teilkomponenten C5a und C5b gespaltet. C5b sorgt dann als Teil des Membranangriffskomplexes (MAC) für die Lyse unerwünschter Zellen, während das fast zwanzigmal kleinere C5a zu einer Reihe inflammatorischer Reaktionen führt, wie beispielsweise der Aktivierung von Makrophagen und Neutrophilen. Dieser Effekt spielt eine Rolle in diversen chronischen Autoimmun- und Entzündungskrankheiten.

Diese möchten die Inflarx-Gründer um CEO Niels Riedemann und Wissenschafts-Vorstand Renfeng Guo mit ihren monoklonalen Antikörpern angehen. Laut den Thüringern bindet IFX-1 hoch-spezifisch ein C5a-Epitop und inhibiert so dessen Funktion, ohne jedoch den MAC zu beeinflussen. Just im vergangenen Juli durchlief IFX-1 erfolgreich die klinische Phase-IIa-Studie an Patienten mit Hidradenitis Suppurativa (auch Acne inversa), einer chronischen Entzündung von Talgdrüsen und Haarfollikeln, die zu schmerzenden Abszessen führen kann. Nachfolger IFX-2 macht im Prinzip das gleiche, allerdings laut Inflarx mit verbesserten „pharmakokinetischen Eigenschaften“.

In den vergangenen Jahren wies Inflarx Verluste aus: 2015 waren es minus fünf Millionen Euro, 2016 minus neun Millionen Euro. Das sind Zahlen, die ein Unternehmen mit Wirkstoffen in frühen klinischen Phasen nicht schockieren können, kostet die Entwicklung neuer Medikamente in den ersten fünf bis zehn Jahren nun einmal einen Haufen Geld. Mit dem Börsengang erweitert Inflarx seinen Geldgeber-Pool um Kleinaktionäre. Ob dieser Plan langfristig aufgeht, muss sich zeigen. Wenige Tage nach der Emission hält sich der Aktienwert bei unaufgeregten knapp 15 Dollar (Stand: 15.11.2017); für Schlussfolgerungen ist es zu früh.

Ein Blick auf Nasdaq-IPOs europäischer Nachbarn früher in diesem Jahr dämpft allzu große Euphorie. Das Schweizer Biotech-Unternehmen Obseva startete im Januar 2017 unter vergleichbaren Bedingungen wie Inflarx (Erstausgabepreis 15 Dollar, Erlös etwa 91 Millionen Euro), aber die Aktie dümpelt auch ein knappes Jahr später weiterhin bei etwa 11 Dollar. Im Mai folgte Argen-X aus den Niederlanden an die Wallstreet und heimste dort immerhin 100 Millionen Euro ein. Nach Ausgabe der Aktien für 17 Dollar sowie einem phänomenalen Tagesabschluss bei 22 Dollar, liegt der Wert inzwischen bei immerhin 24 Dollar. Doch die Erwartungen an Biotech-Aktien sind in den letzten Jahren enorm gestiegen, und da bietet der Kurs der Argen-X-Aktie eher Ernüchterung - zumindest für die Biotech-affinen Aktienkäufer, die sich wohl etwas oder gar deutlich mehr versprochen haben.

Der erlösende "erste" Biotech-Börsengang eines deutschen Unternehmens nach fast zehn Jahren IPO-Abstinenz zeigt, dass es auch anders geht. Das Auftragsforschungsunternehmen Brain AG aus dem hessischen Zwingenberg traute sich Anfang 2016 auf das Frankfurter Parkett. Wenngleich der Börsengang damals mit 31,5 Millionen Euro nicht ganz den erhofften Erlös brachten, dürften die Gemüter inzwischen beruhigt sein, hält sich die Aktie doch inzwischen wacker bei rund 20 Euro (bei einem Ausgabepreis von 9 Euro). Ein Plus von mehr als 100 Prozent binnen 21 Monaten ist durchaus zufriedenstellend.

Im Falle von Inflarx darf man also gespannt sein.

Sigrid März



Letzte Änderungen: 11.12.2017