Editorial

Wenn Viren ans Herz gehen

(6.6.17) Grippale Infekte können auch das Herz beeinträchtigen. Meist heilt eine akute Virusmyokarditis folgenlos aus. In einigen Fällen kommt es aber zu chronischen Verläufen – darüber haben wir mit Virologin Karin Klingel gesprochen.

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© Privat

Hepatitis, HIV und gelegentlich Ebola – das sind laut unserer aktuellen Publikationsanalyse typische Forschungsfelder der Virologen. Kaum Beachtung finden hingegen virale Herzmuskelentzündungen. Dabei seien die gar nicht mal so selten, berichtet uns Karin Klingel, Platz 16 der meistzitierten Virologen im deutschsprachigen Raum. Klingel leitet die Kardiopathologie am Institut für Pathologie und Neuropathologie der Uniklinik Tübingen. Sie erzählt uns, warum man grippale Infekte nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

 

Laborjournal: Warum hört man so wenig von Virusinfektionen des Herzens? Sind solche Erkrankungen zu selten, um für die medizinische Forschung interessant zu sein?

Karin Klingel: So selten sind sie gar nicht. Unser „Haustierchen“, an dem wir forschen, ist das Coxsackievirus B3 aus der Gruppe der Enteroviren. Dieses Virus löst grippale Infekte aus, und dabei kann auch das Herz involviert sein. Man spricht dann von einer Virusmyokarditis. Wir infizieren uns im Laufe des Lebens wahrscheinlich rund siebzig Mal mit verschiedenen Enteroviren.

 

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Aber nicht jedes Enterovirus befällt zwangsläufig auch das Herz und führt dort zu einer Entzündung, oder?

Klingel: Tja, das ist eine gute Frage. Zum Glück heilt die Enterovirusmyokarditis in den meisten Fällen folgenlos aus. Wie oft das Herz aber tatsächlich involviert ist, das können wir ganz schlecht beurteilen. Dazu bräuchten wir eine Herzmuskelbiopsie, und die haben wir natürlich nicht von jedem Patienten.

 

Zuverlässige Diagnose nur mit Biopsie

 

Man kann doch auch nicht-invasiv mittels Magnetresonanz ins Herz schauen. CMR nennt sich das, für cardiac magnetic resonance. Im Analysezeitraum unseres Rankings hat Ihr Team diese Methode mit der Herzbiopsie verglichen (JACC Cardiovasc Imaging 5(5): 513-24).

Klingel: In dieser Arbeit zeigen wir, dass die CMR sehr gut geeignet ist, um eine mögliche Myokarditis festzustellen. Der Vorteil einer Biopsie ist aber, dass wir zusätzlich auch die Ätiopathogenese der kardialen Entzündung feststellen können. Das heißt wir können über PCR und in situ-Hybridisierung definitiv sagen, ob ein Virus beteiligt ist oder nicht. Diese Information ist sehr wichtig, weil es zum Beispiel auch die eosinophile Myokarditis und die  Riesenzellmyokarditis gibt. Diese Herzmuskelentzündungen sind nicht Virus-induziert, sondern immunologisch bedingt. Betroffene Patienten muss man unbedingt immunsuppressiv therapieren, das sind lebensrettende Maßnahmen.

 

Und solch eine Immunsuppression wäre natürlich für Patienten sehr schädlich, bei denen ein Virus die Ursache ist.

Klingel: Genau. Wenn man Patienten mit einer Coxsackievirusinfektion Cortison gibt, dann freut sich das Virus. Es repliziert sich und die Herzmuskelschädigung wird immer größer. Das will man natürlich unter allen Umständen vermeiden.

 

Nun kann also ein grippaler Infekt auch das Herz befallen. Man hört ja auch immer wieder, dass man bei einer Erkältung keinen Sport treiben soll. Ist das nicht übertrieben?

Klingel: Es gibt Fälle von jungen Sportlern, die plötzlich tot umfallen. Leider verbindet man das als Betroffener oft nicht mit einer Herzmuskelentzündung, weil sich die Myokarditis erstmal vor allem durch Kurzatmigkeit bemerkbar macht. Das schiebt man dann auf eine Infektion der Lunge. Ich hatte einen deutschen Meister im Eiskunstlaufen als Patienten, der an einer Coxsackievirusmyokarditis gestorben ist. Und einen jungen Mann, der nach einem grippalen Infekt den Hamburg-Marathon mitgelaufen ist. Sein Arzt hatte ihm gesagt, das sei kein Problem, die Erkältung liege ja schon drei Wochen zurück. Fünfhundert Meter vor dem Ziel ist er zusammengebrochen und verstorben. Wir stellen bei jungen Sportlern, die plötzlich auf dem Fußballplatz tot zusammenbrechen, im Nachhinein recht häufig eine Myokarditis fest.

 

Warum ist eine virale Herzmuskelentzündung denn gerade für Sportler so gefährlich?

Klingel: Durch extensives Ausdauertraining kommt es zu einer Art Immunsuppression, denn im Prinzip findet dabei eine Stressreaktion im Körper statt. Das hält für etwa drei Tage an, und in dieser Zeit haben die Sportler eine schlechtere Immunantwort und sind anfälliger für Virusinfektionen. In der Regel betrifft das aber Leistungs- und Ausdauersportler. Wenn Sie jetzt jeden Tag drei Kilometer joggen, dann ist das egal – es sei denn, Sie haben eine massive Erkältung. Dann ist es auch für Freizeitsportler ganz wichtig, dass man sich einige Wochen vom Sport zurückhält.

 

Mäuse ohne Toll-like Rezeptor

 

Sie sagen, dass eine virale Myokarditis in den meisten Fällen ausheilt. Aber es gibt auch chronische Verläufe.

Klingel: Durch die Infektion des Herzmuskels kommt es erst einmal zu einer akuten Entzündungsreaktion. Makrophagen und T-Zellen wandern ein und verhindern normalerweise die Ausbreitung der Viren. Aber bei einem gewissen Teil der Patienten verläuft die Entzündung chronisch. Deren Immunsystem ist nicht in der Lage, die Viren aus dem Herzmuskel zu eliminieren. Vermutlich hat das oftmals genetische Ursachen. Wir wissen aus unserem Mausmodell, dass der Toll-Like Rezeptor 3 eine zentrale Rolle spielt.

 

Also geht es um das angeborene Immunsystem?

Klingel: Genau. Wenn wir immunkompetente Mäuse mit Coxsackieviren infizieren, dann bekommen sie eine akute Myokarditis, die Viren replizieren sich in den Herzmuskelzellen. Innerhalb von zwei Wochen heilt das aus. Wenn aber beispielsweise der Toll-Like Rezeptor 3 nicht vorhanden ist, dann sterben die Mäuse relativ schnell an einer fulminanten Myokarditis, die auf dem Fehlen von Typ 1 Interferonen beruht. Geben wir weniger Viren, dann bekommen diese Tiere eine chronische Myokarditis (J Virol 82(16): 8149-60). Das entspricht wirklich exakt dem, was wir bei unseren Patienten sehen.

 

So ein chronischer Verlauf kann auch zu einer Fibrose führen; dann sterben Herzmuskelzellen ab und werden durch Bindegewebe ersetzt. Wenn man nicht rechtzeitig eingreift, endet das tödlich, oder?

Klingel: Ja, oder der Patient muss herztransplantiert werden. Bei diesen chronischen Verläufen mit Fibrose spricht man von einer dilatativen Kardiomyopathie. Wenn die vom Arzt diagnostiziert wird, liegt die Überlebenschance für die nächsten fünf Jahre bei nur 50 Prozent.

 

Stabile Virus-RNA

 

Was genau passiert denn bei einem chronischen Verlauf? Bleiben die Viren jahrelang aktiv oder verselbstständigt sich die Immunreaktion?

Klingel: Beides. Ich habe einige Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie, bei denen enterovirale RNA tatsächlich noch in einzelnen Herzmuskelzellen nachweisbar ist. Offenbar persistieren die Viren dann jahrelang, und keiner kann sich das richtig erklären. Enteroviren infizieren eigentlich lytisch.

 

Wird deren RNA dann irgendwie in DNA transkribiert und setzt sich ins Genom ein, so wie bei Retroviren?

Klingel: Unsere Coxsackieviren sind Picornaviren mit einem einzelsträngigen RNA-Genom. Die gehen in die Zelle rein und werden direkt transkribiert. Es entsteht eine Minusstrang-RNA als Template, und an diesem Template entstehen dann wieder viele Plusstrang-RNAs. Diese Plusstrang-RNA wird dann teilweise translatiert, sodass unter anderem vier Kapsid-Proteine entstehen, die zusammen mit der Plusstrang-RNA zu einem Virion verpackt werden. Es gibt also keinen DNA-Intermediator wie bei den Retroviren.

 

Also bleibt deren RNA über Jahre in der Zelle?

Klingel: Ja, und interessanterweise ändert sich bei der Persistenz das Verhältnis zwischen Minusstrang- und Plusstrang-RNA. Bei einer akuten Infektion haben wir ein Verhältnis von hundert Plusstrang-Kopien zu einer Negativstrang-Kopie. Wir haben uns aber persistierende Coxsackievirusinfektionen in Mäusen angeschaut, und da ist das Verhältnis 1:1 (Proc Natl Acad Sci U S A 89(1): 314-8). Ein interessantes Phänomen, bei dem wir aber noch nicht genau wissen, warum das so ist.

 

Kann man Patienten mit viraler Myokarditis therapieren?

Klingel: Bislang ist noch kein Medikament zugelassen, um diese enteroviralen Infektionen direkt zu therapieren. Man kann aber das Immunsystem stärken. Wir wissen, dass Coxsackieviren extrem abhängig sind von einer effizienten frühen Immunantwort, insbesondere von den Alpha- und Beta-Interferonen. Gibt man Patienten mit einer Coxsackievirusmyokarditis zum Beispiel Interferon alpha-2a, dann kann die rasch ausheilen. Das funktioniert nicht immer bei allen Patienten, aber die Behandlung hat schon gute Erfolge gezeigt. Je früher man eingreift, desto eher kann man eine Schädigung des Herzmuskels verhindern. Deswegen ist es gerade bei Enterovirusinfektionen ganz wichtig, dass man rechtzeitig zum Arzt geht. Wir sehen hier im Institut leider oft Herzbiopsien von Patienten, bei denen vieles schon abgelaufen ist und sich eine chronische Entzündung etabliert hat. Man sollte daher bei Symptomen wie Kurzatmigkeit und Herzrhythmusstörungen nicht erst tagelang warten!

Interview: Mario Rembold



Letzte Änderungen: 30.06.2017