Editorial

Das Frankfurter Blutorakel

(21.3.17) Man kann schon auf komische Gedanken kommen, wenn man für einen Studenten Blut bestellen soll. Wie unsere (andere) TA in folgender Episode…
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Manchmal bestelle ich wahrhaft gruselige Dinge für unsere Arbeitsgruppe.

Dinge, bei deren Anblick einen ein gewisses Unbehagen beschleicht – und von denen man lieber nicht wissen will, wofür der Auftraggeber sie benutzen wird.

Zuletzt ging es so mit pechschwarzen, lichtundurchlässigen Eppis. Diesmal ist es Schafblut. Defibriniertes Schafblut, um genau zu sein.

Eine Woche später wird es geliefert. Neugierig öffne ich den Karton und wickle ein kleines Fläschchen aus dem Polstermaterial. Hoffentlich kommt nicht ausgerechnet jetzt jemand rein, der kein Blut sehen kann – man kann es nämlich sehr deutlich sehen. In einer durchsichtigen Plastikflasche schwappt der dunkelrote Lebenssaft munter vor sich hin.  

Beim Anblick des munter schwappenden Blutes muss ich an das Blutwunder von Neapel denken, von dem ich mal gelesen habe. Alljährlich versammeln sich im Mai, September und Dezember zahlreiche Christen im Dom zu Neapel, wo das Blut des heiligen Januarius aufbewahrt wird. Vor dem Altar schwenkt dann der Erzbischof dann die Monstranz. Verflüssigt sich das Blut in der darin verwahrten Ampulle, gilt dies als gutes Omen.

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Plötzlich sehe ich das angelieferte Blut in meinen Händen mit ganz anderen Augen. Ich schwenke die Flasche, das Blut ist sehr flüssig. Verheißt das jetzt eine gute Zeit für unser ganzes Labor? Oder lediglich für den Ausgang des blutigen Experiments? 

Vielleicht sollte man der Fairness halber ein paar Prozente gutes Omen abziehen. Sicher orakelt es sich mit gekauftem, defibriniertem Schafblut nicht so präzise wie mit dem Blut eines Märtyrers. Aber ich glaube einfach mal trotzdem an die günstige Voraussage.

Eine Woche später kommt unser buchhaltender Postdoc mit Sorgenfalten auf der Stirn zu mir.

„Wozu bestellst du defibriniertes Blut?“

„Defibriniertes Schafblut!“

„Wozu bestellst du defibriniertes Schafblut?“ Er will es wirklich wissen.

Mir schießt folgende Antwort durch den Kopf: „Weißt du, wenn man bei Vollmond einen Trank aus dem Blut eines neugeborenen Lämmchens bereitet …“ Ich verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Erstens haben wir derzeit keinen Vollmond hier in Frankfurt; und selbst wenn es so wäre, weiß ich nicht, welcher Herkunft das Schafblut ist – es könnte ja auch von einen uralten Widder stammen. Und zweitens will ich nicht noch Wasser auf die Mühlen seiner Skepsis gießen.  

Stattdessen konfrontiere ich ihn mit der wie so oft recht tristen Wahrheit. Wenn er in seinem Alltag noch nicht genug Realität hat, an mir soll es nicht liegen.

„Unsere Bachelor-Studentin will Blutagar-Platten gießen. Laut Lektüre braucht sie dafür defibriniertes Schafblut.“ Er nickt erleichtert und geht zurück zu seinen Rechnungen.

Etwas irritiert blicke ich ihm nach. Was glaubt er denn, welche okkulten Dinge ich mit dem Schafblut womöglich vorhatte? Blutwurst kochen? Den Hausvampir füttern? Darin baden und Unverwundbarkeit erlangen?

Allerdings würden die gekauften fünfzig Milliliter beileibe keine Badewanne oder ein anderes ausreichend großes Behältnis füllen. Obendrein bräuchte ich für den Weg in die Unverwundbarkeit auch kein Schaf-, sondern Drachenblut. Und von „defibriniertem Blut“ ist in der mythologischen Schriften schon gar  nicht die Rede.

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 14.04.2017