Editorial

Biobörse aktuell: Hier so-la-la, dort trist, und in Hamburg himmelhochjauchzend

(29.9.16) Wie laufen die deutschen Biotechaktien? Durchwachsen – zumindest, wenn man die Schwergewichte Qiagen, Morphosys und Evotec betrachtet.
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© KMJ

Es ist Ende September, doch draußen will es einfach nicht neblig und nasskalt werden, zumindest hier im Südwesten, wo die Laborjournal-Redakteure noch immer bei sommerlichen Temperaturen im Plusenergie-Büro schwitzen. Für herbstliches Klima sorgt dafür seit Monaten die Biotechbörse: Die schönen Gewinne des Zwischenhochs zur Jahreswende 2015/16 sind längst perdú, im Schnitt haben die Aktien börsennotierter Biotechfirmen seit Jahresbeginn rund 15 Prozent verloren.

Blicken wir zunächst nach Amerika, ins Eldorado der Biotechnologie, wo vor 40 Jahren (am 7. April 1976) Genentech, die weltweit erste Biotechfirma, gegründet wurde. In den USA gibt es natürlich einen eigenen Biotech-Index, der die Entwicklung der wichtigsten börsennotierten Unternehmen der Branche abbildet (in Deutschland gibt’s sowas zwar auch, aber kein Mensch interessiert sich dafür): den „Biotechnology Index“ der US-Technologiebörse Nasdaq. Der dümpelte zwischen 2001 und 2011 ein volles Jahrzehnt lang unter 1.000 Punkten herum – und kletterte dann bis zum 20. Juli 2015 auf 4.165 Punkte.

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Biotech-Boom in den USA: vorbei?

Das war’s dann aber auch. Seitdem verharrt der amerikanische Biotech-Index in einer Seitwärtsbewegung, derzeit steht er bei 3.082 Punkten – ein minus von 26 Prozent seit Sommer letzten Jahres. Der vermeintlich ungebremste Boom der US-Biotech-Aktien ist damit erstmal gestoppt. Wie aber sieht es hierzulande aus? Lassen sich mit deutschen Biotechaktien derzeit Gewinne erzielen?

Beginnen wir mit Qiagen, dem deutschen Branchenprimus. Die Aktie des Probenvorbereitungs- und Diagnostik-Anbieters aus Hilden bei Düsseldorf hat sich, nach sommerlicher Flaute, wieder erholt und verzeichnet auf Jahressicht ein Plus von knapp 7 Prozent. Qiagen möchte ja unbedingt ins Next-Generation-Sequenzierungsgeschäft einsteigen, hatte dabei aber kürzlich einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen: Ein kalifornisches Bezirksgericht gab Mitte September dem Antrag des Konkurrenten Illumina auf einstweilige Verfügung statt. Die Deutschen führen gegen den amerikanischen Sequenzierungs-Marktführer bekanntlich einen Patentstreit, der sich noch über Jahre hinziehen kann – und dadurch den Aktienkurs der Firma belastet. Über die jüngste Niederlage zeigte sich das Qiagen-Management um Vorstandschef Peer Schatz „enttäuscht“, will aber noch nicht klein beigeben. Erstens könnten nicht-amerikanische Kunden weltweit „weiterhin das GeneReader NGS-System erwerben und nutzen“, so Schatz, und ferner  wolle man den Richterspruch beim US-Bundesberufungsgericht anzufechten. Wie gesagt: Das kann dauern.

Morphosys: Aktie weiter auf Sinkflug

Wie steht’s um andere „Größen“ der deutschen Biotechnologie? Die Papiere des Martinsrieder Antikörper- und Arzneimittel-Entwicklers Morphosys erleben, nach jahrelangem steilen Aufstieg, nun einen ebensolchen Absturz. Das langjährige Maximum erreichte der Aktienkurs Anfang Dezember 2014 mit gut 85 Euro – doch inzwischen liegt er bei nur mehr 37 Euro und hat damit mehr als die Hälfte des damaligen Werts verloren. Bitter für treue Aktionäre, die dabei zusehen müssen, wie ihr in den letzten Jahren erzielter Gewinn dahinschmilzt wie die letzten Alpengletscher in der warmen Septembersonne. Viele Marktbeobachter jedoch sehen gerade darin lukrative Gewinnchancen und bezeichnen den aktuell niedrigen Kurs gar als "Schnäppchenpreis", zumal sich mehrere wichtige und somit gewinnträchtige Entwicklungsprojekte in entscheidenden Phasen befinden würden.

Viel Hoffnung setzt die Morphosys-Führung um Gründer und Vorstandschef Simon Moroney etwa in die derzeit beginnende Phase 2/3-Studie („B-MIND“) mit dem CD19-Antikörper MOR208. Dieses monoklonale, therapeutische Protein, das sich gegen das Zielmolekül CD19 richtet, soll laut Morphosys „zu einer deutlichen Verstärkung der antikörperabhängigen, zellvermittelten zytotoxischen Immunantwort (ADCC) und Phagozytose (ADCP) führen und somit einen Schlüsselmechanismus bei der Abtötung von Tumorzellen verbessern“. Morphosys möchte MOR208 gegen bösartige B-Zell-Erkrankungen, etwa das Non-Hodgkin Lymphom (NHL), einsetzen.

In der erwähnten „B-MIND“-Studie wird MOR208 in Kombination mit dem chemotherapeutischen Wirkstoff Bendamustin im Vergleich zum seit 1998 in der EU zugelassenen Standard-Präparat Rituximab (ebenfalls plus Bendamustin) untersucht. Läuft in Phase 2 alles nach Plan, so werde die Studie voraussichtlich 2017 in eine zulassungsrelevante Phase 3-Studie übergehen. In diesem Fall wäre es keine Überraschung, wenn Morphosys’ Aktienkurs seine derzeitige Richtung ändern würde.

Evotec: Turnaround geschafft?

Gehen wir noch kurz in den hohen Norden, zur dritten großen Biotechfirma aus deutschen Landen. Die Hamburger Evotec AG hat ihre Aktionäre ja jahrelang auf die Folter gespannt – mit einer Aktie, die seit 2011 permanent zwischen knapp zwei und gut drei Euro herumkrebste und nie so richtig Fahrt aufnahm. Diese Flaute ist vorerst vorbei, angesichts des aktuellen Durchmarschs der hanseatischen Aktie auf bereits über fünf Euro.

Nicht der alleinige, aber einer der Auslöser für das kurzfristige Kursfeuerwerk dürfte die unlängst bekanntgegebene, künftige Zusammenarbeit mit der Leverkusener Bayer AG sein. Gemeinsam wollen die beiden Firmen in den kommenden fünf Jahren neue Therapien zur Behandlung von Nierenerkrankungen entwickeln. Evotec kassiert dafür zunächst einmal mindestens 14 Millionen Euro an Forschungszahlungen und Lizenzgebühren – und ferner im Erfolgsfall Meilensteinzahlungen von idealerweise über 300 Millionen Euro. Auch am Umsatz der mit Bayer gemeinsam entwickelten Medikamente – sofern man solche erfolgreich auf den Markt bringt – seien die Hamburger beteiligt, gaben sie bekannt.

Evotec arbeitet schon länger mit dem Pharmakonzern aus Leverkusen zusammen. Bereits 2012 wurde eine Kooperation mit Bayer bekanntgegeben, in deren Rahmen bis 2017 drei klinische Arzneimittelkandidaten zur Behandlung von Endometriose – gutartige Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut – gefunden werden sollen. Am heutigen Donnerstag verkündete Evotec übrigens, dass im Rahmen dieses Projekts „ein weiterer wichtiger präklinischer Meilenstein“ erreicht worden sei: Der fünfte Arzneimittelkandidat sei nun reif für die präklinische Entwicklung; ferner befindet sich ein weiterer seit längerem in der klinischen Phase I, sprich: er wird bereits an freiwilligen Probanden getestet.

Evotec prognostiziert für die Jahre 2016 und 2017 stark steigende Umsätze von 153 beziehungsweise 170 Millionen Euro, sowie Gewinne von knapp 7 beziehungsweise 11 Millionen Euro. Das sind Zahlen, wie sie absolut wie relativ in der deutschen Biotechszene nach wie vor nur selten vorkommen.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 08.12.2016